In den letzten Monaten habe ich in der Artikelserie über Verbindungsmöglichkeiten von Hörgeräten schon einige Optionen vorgestellt wie du Hörgeräte mit technischen Geräten verbinden kannst. Ein paar Artikel fehlen noch und die kommen auch noch, insbesondere über FM-Anlagen und mehr über Bluetooth. Allerdings hatte ich schon anklingen lassen, dass alle Optionen momentan mit ein paar Nachteilen kommen und das es noch nicht die eine schöne Lösung für alles gibt.
Das könnte sich bald ändern, denn es gibt eine neue Lösung, die momentan in der Entwicklung ist: Bluetooth Low Energy Audio (auch Bluetooth LE Audio oder BLEA genannt). Dieser Artikel gibt euch einen Überblick welche Probleme diese neue Technologie versucht zu lösen und mit welchen Eigenschaften sie uns in Zukunft beglücken wird.
Die vorherigen Artikel in der Serie zu Verbindungsmöglichkeiten findet ihr hier:
- Verbindungsmöglichkeiten von Hörgeräten
- Bluetooth und Hörgeräte
- Was an Bluetooth-Hörgeräten nervt
- Wie Bluetooth-Hörgeräte mein Leben verändert haben
- Mehr Teilhabe durch Induktionsschleifen
Der Status Quo
Die momentane Landschaft an Technologien um Hörgeräte mit Signalquellen zu verbinden, kommt mit folgenden Problemen.
Bluetooth: Kompatibilität und Stromverbrauch
Für die direkte Verbindung zwischen Hörgeräten und mobilen Endgeräten wie Mobiltelefonen, Tablets und Laptops ist klassisches Bluetooth momentan die populärste Möglichkeit. Allerdings ist klassisches Bluetooth nicht für die Nutzung von Hörgeräten designt. Die großen Hersteller von Mobiltelefonen bzw. deren Betriebssysteme, nämlich Google und Apple, haben hier selbst nachgelegt und eigene Spezifikationen für jeweils ihre Mobiltelefone veröffentlicht (Google’s ASHA und Apple’s Made for Iphone). Diese Protokolle basieren auf dem klassischen Bluetooth, aber sind etwas „aufgebohrt“.
Diese herstellerabhängigen Erweiterungen sind schon kein schlechter Anfang, aber da sie kein offizieller Standard sind, kommen sie mit Nachteilen bezüglich der Kompatibilität. Im Prinzip hast du als Hörgeräteträger keine Garantie, dass deine Hörgeräte auch mit neueren Mobiltelefonen des jeweils anderen Herstellers noch funktionieren, weil es für die Hersteller von Hörgeräten und Mobiltelefonen schwierig ist, alle Kombinationen von Geräten ausgiebig zu testen. Es ist also momentan mehr ein Glücksspiel ob die Verbindung funktioniert oder nicht.
Auch das Problem dass klassisches Bluetooth relativ strom-hungrig ist, wurde mit den Protokollen von Apple und Google nur leicht verbessert. (Siehe Warum wiederaufladbare Hörgeräte (noch?) nicht das Wahre sind).
Induktionsschleifen, FM-Anlagen und Infrarot: Reichweite und Empfänger
Die Technologien Induktionsschleifen, FM-Anlagen und Infrarot-Anlagen werden vor allem für die Situationen verwendet, wo wir als Hörgeräteträger dem Sound einer Veranstaltung lauschen wollen. Das klassische Setup ist eine Veranstaltungsbühne eines Theaters, Kinos, Konzert- oder Konferenzsaales. Der oder die Sprecher werden über eine Soundanlage aufgenommen. Die Anlage speist das Audiosignal weiter über entsprechende Anlagen der jeweiligen Technologie. Wir als Hörgeräteträger müssen dann dafür sorgen, dass wir das Signal in unsere Hörgeräte speisen können. Für Induktionsschleifen brauchen wir eine Telefonspule im Hörgerät verbaut, für FM- und Infrarot-Anlagen entsprechende Empfänger (welche die Veranstaltungsbetreiber normalweise bereit stellen).
All diese Technologien funktionieren auch ganz gut und sind schon sehr lange im Betrieb. Sie kommen allerdings auch mit Problemen. Zum einen gibt es hier nicht die eine „Standardtechnologie“, sondern alle drei versuchen diesen Bereich abzudecken. Zum anderen sind sie alle nicht günstig zu verbauen bzw. zu installieren. Da es sich um Technologien handelt, von denen nur wir Hörgeräteträger profitieren, sind die meisten Veranstaltungsbetreiber nicht sehr motiviert für uns als eine recht kleine Gruppe entsprechend viel Geld auszugeben. Daher sind diese Technologien leider sehr nur selten verfügbar und sie werden auch immer weniger. Heutzutage muss man schon suchen bis man ein Theater mit einer solchen Anlage findet.
Damit einher geht, dass auch die entsprechenden Empfänger aus der Mode kommen. Zum Beispiel werden T-Spulen immer weniger in Hörgeräten verbaut. Wenn du heutzutage ein Hörgerät kaufst, dann musst schon drauf achten, dass du auch eins mit T-Spule bekommst, bzw. du musst deinen Akustiker darum bitten, dass er diese auch entsprechend aktiviert, damit du sie benutzen kannst.
Bluetooth Low Energy Audio
Was ist nun „Bluetooth Low Energy Audio“ und warum hilft es, die beschriebenen Probleme zu lösen? Bluetooth Low Energy Audio ist ein neuer Standard, welcher von der Bluetooth Special Interest Group entwickelt wurde. Die Bluetooth Special Interest Group ist eine große Ansammlung an Firmen, in deren Interesse es steht, die Bluetooth-Technologie zu verbreiten. Unter anderem sind auch Hörgerätehersteller in dieser Gruppe.
Das neue Protokoll ist eine Erweiterung der klassischen Bluetooth-Technologie, welches du vielleicht schon von anderen Geräten wie z.B. normale Bluetooth Headsets (für Hörende) oder Bluetooth Lautsprecher kennst. Das neue Protokoll Bluetooth Low Energy Audio (ab hier BLEA abgekürzt) wurde designt um einige Probleme des klassischen Protokolls, besonders im Bereich von Hörgeräten, zu lösen.
Schauen wir uns an was BLEA genau kann:
- Der LC3-Codec. BLEA kommt mit einem neuen Codec. Ein Codec ist eine Beschreibung wie ein Strom an Audiodaten komprimiert und wieder dekomprimiert wird wenn er von einem Gerät zum anderen übertragen wird. Dieser neue Codec kann also hochqualitative Audiodaten in relativ kleinen Datenpaketen an z.B. Hörgeräte streamen. Das führt dazu, dass diese Geräte nicht mehr so viel Strom verbrauchen, obwohl die Audioqualität nicht sinkt. Das hilft also bei unserem Problem, dass Hörgeräte die (klassisches) Bluetooth streamen sehr viel Strom verbrauchen.
- Mehrere Empfänger-Geräte koppeln. Klassisches Bluetooth konnte immer nur eine Quelle (z.B. dein Mobiltelefon) mit einem Bluetooth-Empfänger verbinden. Hörgeräte kommen allerdings meistens in Paaren. Das heisst bisher wurde das Problem gelöst, indem du als Hörgeräte-Träger eines deiner Hörgeräte zum Mobiltelefon verbindest und dann das verbundene Hörgerät den Audio-Stream auch an das andere Hörgerät (über ein herstellerabhängiges Protokoll) weiter sendet. Das klingt nicht nur umständlich, sondern das ist es technisch auch. Zum einen ist die Umsetzung komplizierter, weil nun jeder Hersteller von Hörgeräten (oder auch Bluetooth Headsets) diese Logik erstmal implementieren muss. Zum anderen bedeutet das auch, dass das sendende Hörgeräte sowohl die entsprechende Technik also auch den Strom fürs Senden braucht. Mit BLEA können wir also in Zukunft beide Hörgeräte direkt mit unserem Mobiltelefonverbinden, ohne dass sie solchen Aufwand betreiben müssen.
- Mehrere Quell-Geräte koppeln. Das Koppeln von mehreren Geräten kommt mit BLEA auch in die andere Richtung. Momentan ist es so, dass du als Hörgeräteträger dich immer entscheiden musst, womit deine Hörgeräte gerade gekoppelt sind. Das heißt zum Beispiel, dass du dich entscheiden musst, ob du gerade ein Video auf deinem Laptop schauen willst oder mit deinem Mobiltelefon ein Telefongespräch annehmen möchtest. Mir passiert es oft, dass ich mit meinem Laptop in einer Videokonferenz auf der Arbeit verbunden bin und dann leider ein wichtiges Telefongespräch auf meinem Mobiltelefon verpasse, weil ich gar nicht höre, dass es geklingelt hat. Mit BLEA gehört auch dieses Problem der Vergangenheit an, denn du wirst damit deine Hörgeräte mit mehreren Geräten gleichzeitig verbinden können.
- Audio Sharing: BLEA kommt mit einer weiteren, für uns Hörgeräteträger sehr wichtigen Eigenschaft, dem Audio Sharing. Mit BLEA kann ein Quellgerät einen Audiostream mit beliebig vielen Empfängern teilen. Das ist für den Anwendungsfall der Veranstaltungssäle sehr interessant. Diese Technologie könnte in der Zukunft anstatt von Induktionsschleifen, FM-Anlagen und Infrarot-Anlagen in Kinos, Theatern, und allen Veranstaltungssälen Einzug halten. Als Hörgeräteträger müsstest du nun nicht mehr umständlich einen Empfänger ausleihen oder darauf achten, dass dein Hörgerät eine Telefonspule hat, sondern bräuchtest einfach nur noch in das richtige Programm an deinen Hörgeräten schalten.
- Sicherheit beim Audio Sharing: Im Vergleich zu den „alten“ Technologien, kann BLEA Audio Sharing den Stream auch mit einem „Passwort“ sichern, so dass du dich nur einklinken kannst, wenn du das richtige Passwort hast. Das klingt erstmal umständlicher, aber das kommt tatsächlich mit einigen Vorteilen. Die alten Technologien haben sowas nämlich nicht und ob du dich einklinken konntest oder nicht, hing nur von deiner Position im Raum ab. Nun war es aber so, dass es schwierig war, nebeneinanderliegende Veranstaltungssäle mit solchen Technologien auszustatten. Mit Induktionsschleifen zum Beispiel konnte es passieren, dass du auf einer Konferenz nicht der Präsentation lauschst bei der du im Saal sitzt, sondern aus Versehen der vom Saal nebenan, weil das Signal halt nicht exakt durch Wände getrennt wurde. Mit Passwörtern, die man hier für jeden Saal einzeln vergibt, kannst du als Hörgeräteträger dann sicher sein, dass du auch dem richtigen Stream lauschst.
BLEA und die Hörgeräte-Industrie
Das klingt ja an sich schonmal alles toll, aber warum genau ist das jetzt besonders gut für uns Hörgeräteträger?
- Beteiligung der Hörgerätehersteller an der Entwicklung. BLEA wurde unter anderem mit Hörgeräteherstellern für Hörgeräte entwickelt. Das klassische Bluetooth wurde damals entwickelt, als noch keiner darüber nachgedacht hat, dass man das auch für Hörgeräte nutzen könnte. Das führte dann zu all den Probleme die ich Eingangs erwähnte. Dieser neue Standard wurde von Anfang an mit Hörgeräten im Sinn entwickelt. Das lässt hoffen, daß es dann bei der Umsetzung in Hörgeräten weniger „Kinderkrankheiten“ gibt.
- Es ist ein offizieller Standard. BLEA wird ein offizieller Standard und kommt damit mit all den Vorteilen eines Standards. Unter anderem wird dies hoffentlich helfen, die Kompatibilitätsprobleme zwischen Quellgeräten und Hörgeräten zu lösen. In der Zukunft wird es hoffentlich so sein, dass du beim Kauf eines Hörgerätes nicht mehr darüber nachdenken mußt, ob es nun mit Google oder mit Apple-Telefonen funktioniert. Wenn das Hörgerät BLEA unterstützt, sollte es mit allen Quellgeräten funktionieren, die ihrerseits das BLEA Protokoll implementieren. Das heißt z.B. auch, dass du in Zukunft auch beliebig zwischen Mobiltelefonherstellern wechseln kannst, ohne Angst haben zu müssen, dass das neue Telefon mit deinen Hörgeräten nicht funktioniert.
- Audio Sharing als Ersatz für alte Veranstaltungstechnologien. Wie beschrieben haben die „alten“ Technologien für Veranstaltungsaudio ja so einige Probleme und haben allgemein keine große Reichweite. Mit BLEA kommt nun etwas auf den Markt, welches all diese Technologien durch eine einzige ersetzen kann. Nicht nur löst es einige technische Probleme der alten Technologien (z.B. das mit dem Passwort), sondern könnte auch weiter verbreitet werden, welches mich zum nächsten Punkt bring.
- Designt für alle, aber auch für Hörgeräte. Viele Aspekte von BLEA kommen uns Hörgeareteträgern entgegen, aber Hörgeräteträger sind nicht die einzigen Nutzer dieser Technologien. Alle Nutzer von BLEA Headsets oder Lautsprechern haben was davon, wenn das koppeln einfacher und flexibler wird, und die Geräte weniger Strom verbrauchen. In diesem Zusammenhang ist vor allem das Audio Sharing interessant. Es ist z.B. auch dafür gedacht, dass Kinos Filme gleichzeitig in verschiedenen Sprachen ausstrahlen können und sich jeder Kinobesucher die Sprache aussuchen kann, in der er den Film sehen will – in dem er ein BLEA-kompatibles Bluetooth Headset nutzt. Wenn nun Kinos sowieso diese Technologie für Hörende einbauen, dann ist die Chance groß, dass sie sich weiter verbreitet, als wenn wir Hörgeräteträger die einzigen Nutzer wären. Sobald eine Technologie als Zielgruppe alle Menschen hat und nicht nur die relativ kleine Gruppe der Hörgeräte-Träger, so steigen die Chancen, dass die Anbieter diese bereitstellen. Es wird einen Unterschied machen, ob ein Kino eine Hand voll Hörgeräteträger glücklich macht, oder sein neues Soundsystem als Multisprachen-Feature für alle anpreisen kann. So traurig das ist, ist es anscheinend der einzige Weg (von gesetzlichen Vorgaben abgesehen) wie man Assistive Technologien im kommerziellen Markt unterbringen kann.
Der Stand der Dinge
Nun fragst du dich vielleicht, wann du denn das alles hier endlich nutzen kannst. Ja, das geht leider noch nicht so schnell – Geduld, Geduld.
Die Spezifikation von BLEA wurde Ende 2020 veröffentlicht. Momentan kann man sich schon die technischen Spezifikationen z.B. für den LC3 Code auf bluetooth.com herunterladen. Das heißt seitdem können sowohl Hersteller von Quellgeräten (z.B. Mobiltelefonen, Laptops und Tablets) als auch Hersteller von Empfängergeräten (z.B. Headsets und Lautsprecher), also auch die Hörgerätehersteller diese lesen und in zukünftige Produktentwicklungen einfließen lassen.
Bis es dann zu den ersten kompatiblen Geräten auf dem Markt kommt, wird es aber noch etwas dauern. Gerade bei Hörgeräten ist das nicht so einfach, denn als medizinische Geräte haben sie besonders lange Vorlaufzeiten, da sie sehr viel Qualitätssicherung betreiben (müssen).
Dazu kommt noch, dass wir Hörgeräteträger (in Deutschland zumindest) ja nur alle 6 Jahre neue Hörgeräte bekommen. Das heißt es wird auch noch eine Weile dauern, bis es genug Hörgeräteträger mit BLEA Technologie gibt, so dass es sich für Betreiber lohnt von alten Technologien auf BLEA umzusteigen. Auch wenn ich persönlich mich schon sehr auf die Zeit freue, befürchte ich, dass wir noch ein paar Jahre warten müssen.
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Hallo,
hier liegt ein fachlicher Fehler vor: die „Made-for-iPhone“(MFi) und ASHA-Technologie basiert nicht auf Bluetooth-Classic sondern auf Bluetooth-LowEnergie (BLE). Nur der Sonova-Konzern (Phonak etc.) setzt mit seinem SWORD3-Chipsatz auf Bluetooth-Classic und verwendet die Bluetooth-Classic-Profile HFP, HSP und A2DP.
Im Gegensatz zu Bluetooth-Clasic hat Bluetooth-LE von Haus aus keine Audioübertragung, weil es für das „Internet der Dinge“ konzipiert war. Da die Bluetooth-Classic-Technik damals aber zu stromhungrig für Hörgeräte war, entwickelten Apple und GN-Resound eine spezielle Bluetooth-LE-Variante, die eine Audioübertragung für Hörgeräte ermöglichte. Das „iPhone-Hörgerät“ wurde 2014 vorgestellt. Android-Smartphones benötigen ein Zusatzgerät, den Telefon-Clip. Google ist dann Ende 2019 mit einer speziellen Android-Version (ASHA) nachgezogen, die aber nur auf wenigen Smartphones lauffähig ist.
Anfang 2020 stellte dann die Bluetooth-SIG (quasi das Normengremium für Bluetooth) die Grundidee der Bluetooth-Version 5.2 mit BLE-Audio vor. Dieses ist nicht kompatibel zu MFi oder ASHA. Mitte 2022 wurde dann das Bedienkonzept „Auracast“ vorgetsellt. Man benötigt nun ein neues Hörgerät mit einem Bluetooth-5.2-Chip, der BLE-Audio und Auracast unterstützt. Desweiteren wird ein neues Smartphone mit der selben Spezifikation benötigt. Mithilfe des Smartphones wid dann dem Hörgerät mitgeteilt, welchen Audiostream von welchem BLE-Audio-Sender das Hörgerät übertragen soll. Dazu reichen die wenigen Knöpfe am Hörgerät natürlich nicht, außerdem gibt es ja auf dem Hörgerät keinen Touchscreen zum Auswählen des Programmes.
Fazti: Derzeit gibt es nur einen einzigen Bluetooth-5.2-Chipsatz, der BLE-Audio beherrscht, ob er Auracast beherrscht, ist nicht bekannt. Der aktuelle Sonova-SWORD-3-Chipsatz beherrscht ebenfalls kein BLE-Audio. Kein bestehendes Bluetooth-Hörgerät kann auf BLE-Audio aufgerüstet werden, es müßte komplett ersetzt werden.
BLE-Audio wird erst einmal in die High-End-Hörgeräte eingebaut werden, in die Basis-Hörgeräte wird es wahrscheinlich nie eingebaut, weil die Krankenkassen Bluetooth nicht bezahlen. Die Frage ist auch, ob Hersteller von professioneller Audio-Technik BLE-Audio-Sender entwickeln für eine selten genutzten Technik und ob Veranstaltungs-Anbieter Gerätschaften betreiben für vielleicht drei potentielle Nutzer:innen in einer Veranstaltung .
Das Bedienungskonzept Auracast ist nicht barrierefrei, denn es ist ein spezielles Smartphone notwendig, denn: Ist zur Nutzung einer Einrichtung für Behinderte ein Zusatzgerät notwendig, das nicht ein behinderungsbedingtes notwendiges Hilfsmittel ist, so liegt keine Barriefreiheit mehr vor. (vgl. §4 Behindertengleichstellungsgesetz) Behinderungsbedingte notwendige Hilfsmittel sind grob gesagt die Gerätschaften, die die Krankenkasse zahlt, also Rollstuhl/Rollator, Blindenstock/Blindenhund und Hörgeräte/CI etc. Ein Smartphone ist kein behinderungsbedingtes notweniges Hilfsmittel, also ist die BLE-Audio/Auracast-Technik nicht barrierefrei – Punkt.
BLE-Audio wird sich kein:e schwerhörige:r Rentner:in leisten können und auch kein Normalverdiener: Hörgeräte Zuzahlung von 4.000 bis 5.000 Euro und für ein neues Smartphone noch einmal 1.500 Euro. BLE-Audio ist also auch sozial unverträglich.
BLE-Audio wird für Hörgeräte ein Nieschen-Produkt bleiben, weil es schon längst für Höranlagen eine barrierefreie und international genormte Lösung gibt: die induktive Höranlage. Die Induktion kann übrigens mithilfe eines Induktion-Kopfhörers (z.B. Geemarc Hook) auch Stereo.
Hallo nochmals,
Echte Fehler:
Bluetooth-LowEnergy gibt es seit der Bluetooth-Version 4.0, nicht erst jetzt mit BLE-Audio. (siehe Wikipedia-Artikel „Bluetooth“. Es teilt den 2,4GHz-Bereich in 40 Kanäle auf.
Bluetooth-Classic ab Bluetooth Version 1 teilt den 2,4GHz-Bereich in 79 Kanäle auf. Es ist nicht kompatible mit Bluetooth-LE. Es kann von Anfang an die Audio-Übertragung (HeadSet).
Der LC3-Codec ist nicht die einzige Voraussetzung für BLE-Audio. Es gibt sehr viele tiefgreifende Änderungen am Bluetooth-LE-Konzept, z.B. wurde das Advertizing-Protokoll angepasst, weil das bisherige Protokoll zu wenig Platz für die Beschreibung des BLE-Audio-Streams hatte. Über das Advertizing wird übertragen, welcher Sender welche Streams mit welchem Inhalt haben und noch weitere technische Daten. Das heißt, BLE-Audio funktioniert nur mit Geräten, die einen Bluetooth-Chip der Version 5.2 oder höher haben und das optionale BLE-Audio integriert hat. (Derzeit nur ein Chipset auf dem Markt, wobei unbekannt ist, ob Auracst unterstützt wird.) Vorherige Bluetooth-Chips können nicht upgedatet werden, da es Hardware-Änderungen gibt.
Bisher ist das Bedienkonzelt für den Broadcast-Modus mit Auracst festgelegt worden. Die Verbindungsbehafteten Modi sind noch garnicht im Fokus.
Im verbindungsbehafteten Modus können nur 31 Geräte gekoppelt werden (linkes und rechtes Hörgerät zählen ja getrennt.) Das heißt, nur 15 Leute können eine geschlossene Usergruppe bilden. In einer Konferenz für 150 Leute müssen 10 Basis-Sender installiert werden plus zahlreicher Bluetooth-Mesh-Repeater. Die müssen alle 10m in jedem Stockwrk und jedem Gebäude des Konferenzcenters stehen, denn ein Hörgerät/Kopfhörer hat eine Sendereichweite von maximal 10m und muss im verbindungsbehafteten Modus mit dem Sender kommunizieren.
Das ist ein mächtiger Aufwand.Ob der sich angesichts funktionierender Konferenztechnik sich lohnen wird, nur wegen der wenigen Konferenzteilnehmer mit dann nochmals neuen Hörgeräten, die außer dem Broadcast-Modus (Auracast) auch den dann neuen verbindungsbehafteten Modus können. Und auch die mit den Bluetooth-Kopfhörern brauchen dann wieder neue Geräte.
Ich gehe davon aus, dass BLE-Audio also nichts für Konferenzzentren ist, dann lohnt sich auch keine spezielle Kino-Version und dann gibt es auch keine Höranlagen für das Theater und sie Stadthalle.
Im Broadcast-Modus wird jedes Datenpäckchen 4-5mal gesendet, d.h. die Grenze von 31 muss durch 5 geteilt werden. das heißt, nur 6 Programme kann ein Sender im Broadcast-Modus senden.
Es ist weiterhin eine Kommunikation zwischen linkem und rechtem Hörgerät notwendig. Sie müssen sich über den Zeitpunkt der Ausgabe eines Audio-Päckchens einigen. Das sagt jedenfalls Nick Hunn, der Gruppen-Leiter der BLE Audio-Arbeitsgruppe der Bluetooth-SIG in einem Vortrag für Techniker. (zu finden auf der homepage der Bluetooth-SIG)
Ich könnte noch weitere sachliche Fehler anmerken, aber das reicht wohl, um den Enthusiasmus über BLE Audio etwas zu dämpfen. Man sollte eben nicht nur das zusammenfassen, was andere Journalisten in Marketing-Veranstaltungen verstanden haben, man sollte sich auch einmal in die technischen Spezifikationen vertiefen und ggf. bei den maßgeblichen Leuten nachfragen…
Induktionsschleifen können übrigens so gelegt werden, dass sie nicht in nebenliegende Räume übersprechen (Loop-Arrays). Bei übereinander liegenden Räumen müssen Spezialisten heran.
Danke für die Korrekturen!
Hallo,
was die ersten Test mit Auracast betrifft: das Systemm hat eine Latenzzeit von mindestens 35ms. Das klingt zunächst einmal gering, ist es aber nicht. Erstens muss man noch die davor und dahinter liegende Latenz berücksichtigen: das sind digitale Funkmikrofone (bis zu etwa 15ms, Mischpult (1-3ms) und am Ende auch noch das Hörgerät selbst (3-10ms), zusammen also rundweg um die 50ms. Das ist schon im Echo und Hall-Bereich.
Man hat wissenschaftliche Versuche bei guthörenden Dolmetscher:innen gemacht. Dolmetscher sind ebenso wie wir Schwerhörige auf das Mundabsehen, Mimik und Gestik angewiesen, um das, was sie gehört haben, zu kontrollieren. Man hat also Versuche gemacht, wie sich die Anforderung an Gehirnleistung und Stresslevel bei Latenz zwischen Bild und Ton sich verändern. Man hat festgestellt, dass ab 12ms die aufgewendete Gehirnleistung und der Stresslevel stark ansteigen, weil es immer aufwändiger wird, Bild und Ton zu synchronisieren. Diese 12ms wurden deshalb in die ISO Norrn 20108 fpr Dolmetscher als maximal zulässige Gesamtlatenz zwischen Bild und Ton festgeschrieben. Die EU-Kommission hat sogar 10ms als Maximal-Latenz festgeschrieben.
Wir Schwerhörige sind ebenfalls aufs Mundabsehen angewiesen, wir machen damit:
1. Phonem-Identifikation: feststellen, ob es sich um einen Buchstaben oder Störgeräusch handelt.
2. Phonem-Distinktion: feststellen, um welchen Buchstaben es sich handelt, denn viele Laute klingen für uns gleich oder sehr ähnlich.
3. Phonem-Supplementation: nicht gehörte Buchstaben ergänzen.
Wir machen also um einiges mehr als Dolmetscher, also haben wir mit Latenzen noch stärkere Probleme und es kostet un Hörstress. Und noch eines ist fatal: im Laufe des Zuhörens mit Latenz wird immer mehr Hirnleistung notwendig, weil man langsam ermüdet. Irgendwann kommen wir dann an einen Kipp-Punkt, an dem das Mundabsehen kontraproduktv wird, weil gehörtes und gesehenes Phonem (Buchstabe/Laut) nicht übereinstimmen. es kommt zum McGurk-Effekt, dass richtig gehörte Laute dennoch falsch verstanden werden.
Unsere Hörsituation aber unterscheidet sich von denen der Dolmetscher:innen noch einmal zu unsseren Ungunsten:
* Dolmetecher:innen wechseln sich nach 15min mit ihren Partner:innen ab, wir können uns aber nicht auswechseln.
* Dolmetscher:innen sitzen in gegen Störlärm geschützten und klimatisierten Kabinen, wir aber erhaten die volle Dröhnung vom Störschall, Hall und Echo.
* Dolmetscher:innen kommen zum Vortrag, um ihn zu übersetzen, sie haben trainiert, zum Übersetzen nur das Ultrakurzzeitgedächnis zu nutzen. Wir wollen aber vom Vortrag etwas mit nehmen.
* Dolmetscher:innen bekommen zuvor Redemnuskripte und Fachwörterlisten, wir nicht.
* Dolmetscher:innen haben eine hochwertige Audioanlage, wir haben doofe Ohren.
Unsser Hörstress wird als erstes von der Synronisationsleistung zwischen Bild und Ton verursacht, je höher die Latenz, desto mehr Stress. Dann kommt noch das Hörpuzzle, erst die richtigen Buchstaben finden und dann die richtigen Wörter, bis dann der Satz steht, und nie sicher sein, ob wir richtig gepuzzelt haben.
Wir haben also mehr Hörstress als die bestversorgten Dolmetscher. Wir können also mit Fug und Recht fordern, dass unsere gesamte Hörstrecke ebenfalls nur eine maximale Latenz von 12ms oder besser 10ms haben darf, weil wir ansonsten über Gebühr beim Hören gestresst werden. Es kommt ja nicht von Ungefähr, dass wir nach einem Vortrag von einer Stunde einfach nur platt sind.
Und woher kommt die Latenz von den Übertragungssystemen?
Das ist ganz einfach zu beantworten: von der Digitalisierung. Analoge Systeme haben keine Latenz. Bei der Digitalisierung benötigt der A/D-Wandler schon die erste Millisekunde. Wenn dann – wie bei Bluetooth oder WLAN – ein CODEC die riesige Menge von Datenkolonnen zusammen dampfen muss, damit sie überhaupt gesendet werden können, dann muss als nächstes ein Zeitfenster von z.B. 10ms gebildet werden. Dann erfolgt das Zusammendampfen, was bei LC3-Codec etwa 2,5-3ms braucht. Dann muss alles in Datenpäckchen gepackt werden, und gesendet erden. Da gehen auch wieder einige Millisekunden in die Welt. Und beim Empfänger, dem Hörgerät muss alles wieder zurück verwandelt werden, bis es dann durch die eigentliche Verarbeitung vom Hörgerät läuft und wieder auf analog ans Trommelfell geht.
Nun ist es so, dass eine Soundbearbeitung digital sehr viel besser zu machen ist als analog. Das heißt, in den Hörgeräten brauchen wir die Digitalisierung, weil mit der DSP (digital sound processing) die Hörkurve sehr viel besser eingestellt und der Störschall unterdrückt werden kann.
Aber was muss auf dem Weg vom Mikrofon bzw. Mischpult bis zum Hörgerät an Soundbearbeitung gemacht werden? Eigentlich garnichts, denn wir wollen ja möglicht den Originalton unverändert bekommen. Also hat die Digitalisierung auf dem Übertragungsweg nur den Nachteil der Latenz, aber keinen Vorteil, jedenfalls, was Höranlagen betrifft.
So sind im öffentlichen Raum die digiatlen Höranlagen wie WLAN-Streamer oder Auracast für uns nicht geeignet, während die Induktion latenzfrei ist und genügend Qualität für uns bietet. Auch die alte analogen FM-Anlagen und Infrarot sind latenzfrei, allerdings nicht barrierefrei, weil man sich einen passenden Empfänger jeweils ausleihen muss.
Also: Digitalisierung im Hörgerät ist hui, Digitalisierung auf dem Übertragungsweg ist pfui.