Was an Bluetooth-Hörgeräten nervt

Im letzten Artikel ging es allgemein um Bluetooth und Hörgeräte. In diesem und weiteren Artikeln werde ich näher auf Details zu diesem Thema eingehen. Heute beschäftigen wir uns damit, was an Bluetooth-Hörgeräten nervt. Auch wenn ich Bluetooth-Hörgeräte für eine der wichtigsten Innovationen im Hörgerätebereich des letzten Jahrzehnts halte, so will ich auch ganz unverblümt zeigen, was daran alles noch nicht so optimal ist.

Hinweis für englischsprachige Leser / Note for my English-speaking audience: a similar version of this article in English was published in my blog hackandhear.com here.

Es muß nicht unbedingt das Hörgerät schuld sein

Zunächst einmal möchte ich betonen, daß für die hier beschriebenen Probleme der Schuldige nicht unbedingt die Hörgeräte selbst sind. Viele Probleme sind generell Bluetooth zu zu schreiben. Das heißt man kann diese auch haben, wenn man andere Bluetooth-Geräte wie Bluetooth-Headsets oder Bluetooth-Lautsprecher, die nichts mit Hörgeräten zu tun haben, verwendet. Ich beschreibe sie aber dennoch, um ein umfassendes Bild davon zu geben, auf was man sich einlässt, wenn man Bluetooth-Hörgeräte kauft.

Die hier beschriebenen Erfahrungen wurden mit den folgenden Geräten getestet:

Phonak Audeo Marvel M90 Hörgeräte (Batterie Version)

Problem 1: Die Hörgeräte drängeln sich vor

Ein nerviges Problem ist, dass Hörgeräte den Datenstrom „wegschnappen“, wenn sie eine Verbindung aufbauen. Was heißt das genau?

Die Situation ist die folgende: Ich verbinde mein Mobiltelefon mit meinen Bluetooth Lautsprechern um zum Beispiel im Wohnzimmer zusammen mit meinem Mann Musik zu hören. Meistens beende ich dabei explizit die Verbindung von meinem Mobiltelefon zu meinen Hörgeräten, damit das Mobiltelefon nicht verwirrt ist, wohin es nun die Audiodaten schicken soll.

Dann verlasse ich kurz das Zimmer um mir was zu trinken zu holen und komme zurück. Dann geschieht folgendes: das Mobiltelefon, welches immer noch Musik über die Bluetooth Lautsprecher abspielt, auf einmal wieder die Hörgeräte in Reichweite sieht. Prompt verbindet es sich damit und sendet die Musik fortan dort hin. Somit habe ich die Musik in meinen Hörgeräten und mein Mann kann sie nicht mehr hören.

Man könnte nun sagen, dass das ja eine sehr spezielle Situation ist, und dass das ganze weniger relevant ist wenn man alleine Musik hört. Auch das würde ich so nicht bestätigen, denn wie ich in Besserer Musikgenuss mit Hörgeräten erwähnte, macht es durchaus Sinn Musik nicht über die Hörgeräte, sondern über gute Lautsprecher zu hören, zum Beispiel weil diese mehr Bass und damit volleren Klang haben. Wenn ich mich also für diese Option entschieden habe, möchte ich nicht, dass meine Hörgeräte (im wahrsten Sinne des Wortes) dazwischen funken.

So nervig wie dieses Problem ist, vermute ich dass es eher am Mobiltelefon als am Hörgerät liegt. Es kann also durchaus sein, dass man das gleiche Problem mit Bluetooth Lautsprechern und einem eifrigen Bluetooth-Headset hat. Nerven tut es dennoch.

Problem 2: Hörgeräte-Verbindungsprobleme

Das nächste Problem ist eher eine ganze Gruppe von Problemen. Auch hier sind die Ursachen nicht unbedingt Hörgeräte-spezifisch. Sie können auch mit anderen Bluetooth-Geräten passieren. Bluetooth-Geräte können erstaunlich wählerisch sein wann und und mit welchem Geräte sie sich verbinden wollen.

  • Wiederverbindung von bekannten Geräten. Die meisten Bluetooth-fähigen Geräte die Tondaten senden (z. B. Laptops, Mobiltelefone, Bluetooth-Adapter) sind so designet dass sie Geräte zu denen sie schon einmal verbunden waren wieder erkennen und sich automatisch wieder verbinden sobald diese in Reichweite sind. Das ist (mal von Problem 1 abgesehen) auch eine wünschenswerte Eigenschaft. Allerdings funktioniert das meiner Erfahrung nach nur in 50% der Fälle. Weder mein Telefon, mein Laptop, noch mein Bluetooth-Adapter schaffen das zuverlässig. Oft dauert es sehr lange und meistens muss ich händisch nachhelfen.
  • Manuelle Wiederherstellung der Verbindung. Wenn meine Geräte also mal wieder nicht von alleine miteinander sprechen wollen, dann versuche ich sie erstmal auf die sanfte Art, indem ich sie in der Liste der verfügbaren Geräte des sendenden Gerätes (z. B. Mobiltelefon) explizit auswähle. Manchmal funktioniert das, manchmal auch nicht. Bei Misserfolg bekomme ich verschiedene Fehlermeldungen, die alle nicht sehr viel aussagen. Mein Mobiltelefon sagt dass der Passkey nicht funktioniert (obwohl ich nie einen eingegeben habe) und mein Laptop erzählt mir dass das Gerät temporär nicht zur Verfügung steht. Beides leider nur wenig hilfreich.
  • Es kann nur einen (Sender) geben. Die Chancen für einen manuellen Verbindungsaufbau steigen, wenn ich sicher stelle, dass meine Hörgeräte sich nicht bereits eifrig mit ein anderen Gerät verbunden haben (z.B. dem Laptop der in der anderen Ecke des Raumes liegt).
  • Hörgeräte wieder in Paarungsmodus setzen. Eine nächste Maßnahme um die Chancen beim manuellen Verbinden zu erhöhen ist es, die Hörgeräte nochmal in den Bluetooth „Paarungsmodus“ zu versetzen. Das mache ich bei meinen Hörgeräten indem ich einmal das Batteriefach auf und wieder zu mache. Manchmal hilft das, manchmal auch nicht.
  • Anmeldung als unbekanntes Gerät. Die letzte (und „brutalste“) Möglichkeit ist, das Hörgerät komplett neu anzumelden. Dazu muss ich dem sendenden Gerät vorgaukeln, dass es das Hörgerät noch nie gesehen hat und es so behandeln soll wie ein völlig neues Gerät. Das erreiche ich, in dem ich in der Liste der verfügbaren Geräte auf dem sendenden Gerät in ein Untermenü des aufgelisteten Hörgerätes gehe und einen Menüpunkt wie „Gerät vergessen“ auswähle. Dann muss ich im Bluetooth-Menü eine neue Suche nach Geräten anstoßen (meist unter „Verfügbare Bluetooth-Geräte suchen“), warten bis meine Hörgeräte dort auftauchen und dann als neues Gerät paaren. Das funktioniert in den meisten Fällen recht zuverlässig, aber es sind halt deutlich mehr Schritte. Wenn das eine Minute vor einem wichtigen (online) Meeting stattfindet, kommt man da schon einmal ins Schwitzen.
  • Bluetooth ausschalten wenn nicht benötigt. All diese Verbindungsprobleme passieren häufiger, je mehr verschiedene Geräte (sendend oder empfangend) man in einem Raum hat. Meiner Erfahrung nach erspare ich mir einiges an Gehampel, seit ich mir angewöhnt habe, bei allen Geräten Bluetooth immer zu deaktivieren, wenn ich es gerade nicht explizit verbunden haben möchte. Das heißt, wenn ich gerade nichts über meinen Laptop hören möchte, dann schalte ich dessen Bluetooth-Funktionalität komplett aus. Das gleiche mache ich mit den Bluetooth Lautsprechern, die schalte ich auch aus wenn ich sie nicht verwenden will, damit mein Mobiltelefon nicht verwirrt ist, ob es denn nun die Lautsprecher oder meine Hörgeräte nutzen soll.

Problem 3: App-Verbindungsprobleme

Ich benutze die MyPhonak App auf meinem Mobiltelefon um meine Hörgeräten einzustellen, z.B. für Programmwechsel oder Lautstärkeregelung. Auch das kommt mit ein paar Ärgernissen.

  • Wenn ich die App starte, dauert es relativ lange, bis es die Hörgeräte gefunden hat. Das ist nervig, denn das bedeutet manchmal minutenlanges Warten bis man die Lautstärke lauter machen kann oder die Verbindung zum TV Adapter trennen kann. Das ist oft zu lange, als dass der Postbote an der Tür wartet bevor ich in der Lage bin ihn zu verstehen.
  • Noch ärgerlicher war ein Phänomen welches ich zu Beginn der Benutzung der App (Anfang 2020) mehrfach erlebt habe: alle paar Wochen hörte die App völlig auf, sich mit den Hörgeräten verbinden. Da halfen auch noch so viele Versuche und noch so viel Geduld nicht. Das einzige was dann half, war die App vollständig zu deinstallieren, den Cache und alle Daten von ihr zu löschen, sie neu zu installieren und zu konfigurieren. Angesichts dessen, dass das nicht so trivial ist und bei vielen Hörgeräteträgern vom Akustiker übernommen wird, ist man hier als Hörgeräteträger deutlich abhängig wenn man nicht selbst genug technisches Wissen hat.

Sonstige Probleme

Stromverbrauch. Wie in Warum wiederaufladbare Hörgeräte (noch?) nicht das Wahre sind berichtet, verbrauchen Bluetooth-Hörgeräte relativ viel Strom. Seit Covid-19 sitze ich im Homeoffice und bin täglich 5-6 Stunden mit meinem Laptop in Videokonferenzen eingeloggt. Seitdem ist mein Hörgeräte-Batterie-Verbrauch deutlich gestiegen. Allerdings kann ich Batterien immerhin wechseln wenn sie mal mitten in einer Besprechung leer gehen, mit Akku-Hörgeräten wäre das nicht möglich.

Sicherheit. Bluetooth ein Funkprotokoll welches nicht speziell für Hörgeräte entwickelt wurde (siehe Bluetooth und Hörgeräte). Da es ein weites Anwendungsfeld mit vielen Geräten hat, ist es auch für Hacker interessant. Jedes Jahr werden etliche Sicherheitslücken, die mit Bluetooth zusammen hängen gefunden (siehe diese Datenbank). Die beste Verteidigung gegen Angriffe auf die Sicherheit von Geräten sind regelmäßige Software-Updates. Diese sind sehr üblich in normalen Consumer-Geräten wie Laptops und Bluetooth-Headsets, aber bei Hörgeräten leider nicht so einfach. Als Hörgeräteträger kannst du nicht selbst die Software in deinen Hörgeräten updaten, auch mit keiner Hörgeräte-App auf deinem Mobiltelefon. Updates gibt es nur beim Akustiker, den du hoffentlich einmal im Jahr besuchst, aber vielleicht auch die nächsten 6 Jahre nach dem Kauf nicht. Es würde mich daher nicht verwundern, wenn auf unseren Straßen viele verwundbare Hörgeräte unterwegs sind.

Fazit

Bluetooth kommt mit seinen Schwierigkeiten. In diesem Artikel solltest du einen guten Überblick bekommen haben, auf was du dich mit Bluetooth-Hörgeräten einlässt. Auch wenn vieles davon nervt, ist es immer noch eine der besten Errungenschaften bei Hörgeräten in den letzten Jahren. Im nächsten Artikel dieser Reihe werde ich auch wieder positiver drüber sprechen, versprochen!

5 Gedanken zu „Was an Bluetooth-Hörgeräten nervt

  1. Vor allem verstehe ich nicht, warum Bluetooth-Kopfhörer, Hedadsets und Lautsprecher sich schnell und problemlos verbinden, wärend das bei Hörgeräten eine langwierige und instabile Prozessur und Verbindung ist.
    In beiden Fällen ist ein Ton-Signal per Bluetooth zu übertragen. Warum haben die Hörgerätehersteller da ein eigenes Protokoll (ASHA) das nicht gut funktioniert und nutzen nicht das normale BlueTooth LE, wie die anderen auch??

    • Hallo!

      Das Problem ist, dass LE nicht zum Streamen gedacht ist. Das funktioniert nur fuer so Steuersignale wie „Lautstaerke rauf/runter“ etc. Dafuer nutzen das auch viele Hoergeraete.

      Zum Streamen von Musik benutzen die Bluetooth-Kopfhoerer klassisches Bluetooth, nicht LE = Low Energy. Klassisches Bluetooth braucht eben mehr Energie und das saugt die Hoergeraete-Batterien/Akkus sehr schnell leer. Nur Sonova hat es hier geschafft Hoergeraete mit klassischem Bluetooth zu entwickeln.

      Die anderen haben auf „made for iPhone“ oder „ASHA“ gewartet. Das sind beides eigentlich nur „Weiterentwicklungen“ von Bluetooth LE. Leider hatte die Bluetooth Gruppe hier nicht schnell genug selbst was entwickelt, also sind Apple und Google da unabhaengig von einander taetig geworden und haben natuerlich jeweils was gemacht, was der andere dann nicht unterstuetzt.

      Die Bluetooth Group hat mittlerweile aber nachgelegt und das „LE Audio“ (auch Auracast genannt) entwickelt. Das wuerde soweit alle Probleme loesen. Es ist Bluetooth, aber Low Energy, kann Streamen und ist nicht von Apple oder Google abhaengig. Daher freuen wir uns alle darauf 🙂

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.