Warum wiederaufladbare Hörgeräte (noch?) nicht das Wahre sind

Ende der 2010er bzw. Anfang der 2020er Jahre kommen nun mehr und mehr Hörgeräte auf den Markt, welche mit wiederaufladbaren Akkus statt Batterien betrieben werden. Diese sind insofern interessant, als dass man keine Batterien als Verbrauchsmaterialien mehr kaufen muss und damit auch gleich noch etwas für die Umwelt tut. Die Frage die sich wir Hörgerätenutzer stellen, ist, ob das auch immer die bessere Wahl ist. Meine Antwort ist ein klares: nein, leider erfüllen diese Geräte noch nicht die Anforderungen eines alltäglichen Lebens. Aber was ist das Problem?

Anmerkung für meine englisch-sprachigen Leser: ein ähnlicher Artikel von mir erschien 2020 auf Englisch in meinem Blog hackandhear.com.

Wiederaufladbare Hörgeräte in der Vergangenheit

Hörgeräte mit wiederaufladbaren Akkus gibt es eigentlich schon relativ lange. Meine ersten Hörgeräte, die ich 2008 bekam, waren wiederaufladbar. Es handelte sich um das Modell Siemens Pure (Siemens ist heute unter der Marke “Signia” auf dem Markt). Sie hatten zwar Akkus, aber kamen mit einer Menge Nachteile.

Der größte war, dass die Akkus nur 8 Stunden hielten. Das ist schon ein relativ kurzer Tag, selbst für die über 70jährigen, die die Hörgeräteindustrie normalerweise als Zielgruppe hat. Siemens war immerhin klug genug die Akkus austauschbar zu machen, so dass man über den Tag kam, indem man sie 1-2 mal wechselte. Das ist zwar sehr viel öfter als man Batterien wechseln muss, aber wenn einem die Umwelt am Herzen lag, war das eine machbare Option.

Allerdings war hier die Standardladeschale, die mit den Hörgeräten kam, so gebaut, dass man die Akkus nur mit den Hörgeräten dort einlegen und laden konnte. Das war natürlich keine Option wenn man ein Set Akkus aufladen wollte während man das zweite schon benutzt. Allerdings konnte man immerhin ein weiteres Ladegerät kaufen, in dem man dann die Akkus ohne Hörgerät einlegen konnte.

Um 2013 herum, als ich meine nächsten Hörgeräte kaufen wollte, stellte ich ernüchtert fest, dass das Angebot an aufladbaren Hörgeräten nicht besser war als zuvor. Alle angebotenen Geräte reichten nicht einmal einen normalen Tag. Um so ärgerlicher war, dass es einen Trend gab, dass die Hersteller mehr und mehr Geräte anboten, die die Akkus fest verbaut hatten, so dass man diese nur aufladen konnte, wenn man die kompletten Geräte ablegte. Das Verkaufsargument hier war, dass die Friemelei mit dem Batteriefach dann ein Ende hat, welches den Ladevorgang für Menschen, die nicht mehr gut sehen oder keine gute Feinmotorik mehr haben, erleichtert. Da dies aber nicht auf mich zutrifft und ich Geräte brauchte, die mir zuverlässig von morgens bis abends mein Hören ermöglichen, kaufte ich damals zähneknirschend wieder Hörgeräte mit Batterien.

Wiederaufladbare Hörgeräte heutzutage

2019 war ich dann wieder auf der Suche nach neuen Hörgeräten. Nun, 6 Jahre später, war ich voller Hoffnung dass sich auch in Sachen Akkutechnologien der Fortschritt der letzten Jahre zeigt. Und in der Tat hat sich einiges getan. Fast alle Hersteller bieten dieser Tage wiederaufladbare Hörgeräte an, die angeblich einen ganzen Tag halten. Für Beispiele siehe die Hersteller Phonak, Resound, Widex, Oticon und Signia.

Eine Annahme der Hersteller scheint zu sein, dass 20-24* Stunden Akkulaufzeit nötig sind um einen normalen Tag eines Hörgerätenutzers zu ermöglichen. Manche haben sogar verstanden, dass es durchaus Tage gibt, wo das nicht reicht. Die Lösung die sie hier anbieten sind Ladestationen mit Schnellladefunktionen und tragbare Ladegeräte. Schnellladen heisst in diesem Fall zum Beispiel, dass man sein Hörgerät nur 30 Minuten laden muss, damit sie weitere 6 Stunden halten (Beispiel Phonak). Wenn man das machen muss wenn man gerade unterwegs ist, braucht man nichtmal eine Steckdose, denn dafür werden tragbare Ladegeräte angeboten. Warum ist das nicht genug?

* Ende 2019, als die erste Version dieses Artikels erschien waren es 20 Stunden, mittlerweile sind viele Modelle bei 24 Stunden. Im weiteren Artikel bleiben wir beispielhaft bei den 20 Stunden. Die grundsätzlichen Kritikpunkte gelten aber auch für 24 Stunden.

20 Stunden sind kein Tag

Ich stelle die Annahme in Frage, dass 20 Stunden Strom für einen Tag reichen. Es mag genug sein für einen normalen Tag, aber das Leben besteht nun einmal nicht nur aus normalen Tagen. Es gibt viele Gelegenheiten, bei denen außergewöhnliche Tage passieren:

  • Ich fliege geschäftlich in die USA. Schon hat mein Tag mindestens 36 Stunden.
  • Nach einem vollen Arbeitstag gehe ich mit Freunden noch was trinken und der Abend endet um 3 Uhr morgens am nächsten Tag.
  • Ich habe einen normalen Tag, aber beim Zubettgehen vergesse ich meine Hörgeräte in die Ladestation zu legen und nun habe ich ein Problem am nächsten Tag.

Die Hörgeräteindustrie mag hier argumentieren, dass die ersten zwei Beispiele nicht sehr häufig sind für ihre gewöhnliche Zielgruppe von über 70jährigen. Ich bezweifel das. Ich kann mir noch vorstellen, dass man statistisch gesehen sehr viel weniger aussergewöhnliche Tage hat, wenn man sich nicht mehr im Arbeitsleben befindet. Aber auch das klingt schon nach einem gewissen “Ageism”, dass man annimmt, dass das Leben im Rentenalter vorbei ist. Trotzdem wird es sie auch als Rentner geben, diese aussergewöhnlichen Tage.

Meine Eltern gehen auf die 70 zu und sind ihr ganzes Leben nicht nach Übersee gereist. Aber aus irgendeinem Grund kam meine Mutter neulich auf die Idee, dass die beiden noch was von der Welt sehen sollten, so lange sie noch fit sind. Und zack, war ein Flug nach Übersee gebucht. Und es wäre schon sehr unangenehm, wenn man die Beamten bei der Einreisestelle am Flughafen nicht versteht, nur weil die Hörgeräte just in dem Moment aufgegeben haben.

Noch üblicher als Transatlantikflüge werden Partys auch im hohen Alter noch sein. Ich hoffe zumindest inständig, dass ich noch Parties feier wenn ich alt bin. Immerhin könnte jeder Geburtstag der letzte sein, also besser nochmal feiern was das Zeug hält. Ausserdem ist gemeinhin so, dass man als Senior weniger Schlaf benötigt als in jungen Jahren. Denk an all die Dinge die du tun kannst, wenn du mehr von der Nacht hast! Ich hoffe doch sehr, dass ich auf den Parties meiner Freunde lange durchhalte, wenn ich das Alter erreiche wo einer nach dem anderen den Löffel abgibt. Das gleiche gilt für Familienfeiern wie Hochzeiten.

Daher, liebe Hörgeräteindustrie, 20 Stunden sind vielleicht ein gewöhnlicher Tag, aber es sind die außergewöhnlichen Tage im Leben wo wir kommunikativ und sozial sein wollen.

Fest verbaute Akkus schränken die Möglichkeiten ein

Die Tatsache dass momentan alle wiederaufladbaren Hörgeräte auf dem Markt die Akkus fest verbauen ist meiner Meinung nach ein grosser Nachteil. Es beraubt uns Nutzer der Option ein Set Akkus aufzuladen während wir mit dem zweiten Set schonmal weiter hören können.

Schnellladen ist eine schlechte Option

Die Antwort der Hörgeräte-Industrie auf das Problem der fest verbauten Akkus ist die Schnellladefunktion. Leider ist diese nicht wirklich eine gute Lösung aus zwei Gründen.

Zum einen muss ich morgens daran denken die Ladeschale mit der Akkubank einzupacken, damit ich sie später am Tag – wo auch immer ich dann bin – nutzen kann. Es könnte durchaus sein, dass ich nicht zu den so gut organisierten Menschen gehöre, die an sowas zu denken. Ausserdem ist es auch eine Art von mangelnder Barrierefreiheit, wenn gutes Selbstmanagement Voraussetzung für Hören ist. Mal davon abgesehen, kann es auch einfach nerven, wenn man den ganzen Tag etwas mit sich rumschleppen muss, was man vielleicht später am Tag mal braucht. Zu guter letzt gibt es auch einfach Tage wo man morgens noch nicht weiss, wann und wo er nachts (oder früh morgens) endet. Spontanität gehört ja auch zum Leben.

Mein zweiter großer Kritikpunkt am Schnellladen ist, dass diese Funktion voraussetzt, dass man es sich leisten kann 30 Minuten seines späten Nachmittags oder Abends nicht hörend zu verbringen während die Hörgeräte in der Ladeschale schlummern. In meinem Alltag kommt es nicht selten vor, dass ich nach einem vollen Arbeitstag direkt zu einem sozialen Event fahre. Mein Arbeitstag ist voll von Besprechungen und sozialen Interaktionen. Da habe ich einfach nicht den Luxus 30 Minuten nicht hören zu müssen. Auf dem Weg zwischen Arbeit und sozialem Event kann ich mir das auch nicht leisten. Wer ist schon gerne im Straßenverkehr unterwegs ohne potentielle Unfallgegner zu hören? Selbst wenn ich mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs bin, möchte ich in der Lage sein, anfahrende U-Bahnen, Ansagen und meine Mitmenschen zu verstehen. Zu guter Letzt beim sozialen Event angekommen möchte ich natürlich auch am ganzen Event teilhaben können. Ich kann ja schlecht sagen “Leute, schön euch zu sehen, aber ich setz mich jetzt erstmal 30 Minuten still in die Ecke”. Wie soll das funktionieren? Ich habe schlicht und einfach keine 30 Minuten am Tag übrig fürs sogenannte Schnellladen.

Und dann kam Bluetooth

Eine von vielen (inklusive mir) sehr wertgeschätzte Innovation auf dem Hörgerätemarkt sind Hörgeräte mit direkter Bluetooth-Konnektivität. Die Möglichkeit zu haben Musik und anderes direkt und ohne Adapter auf die Hörgeräte streamen zu können, ist eine grossartige Verbesserung für den Alltag von Schwerhörigen. Seit ich meine Bluetooth-fähigen Geräte habe, würde ich nie wieder zurück wollen zu den Tagen wo man sich klobige Adapter um den Hals hängen oder an die Kleidung anclippen musste.

Allerdings kommt Bluetooth mit einem Preis. Der Preis ist Strom. Was all die Werbung der Hersteller höchstens in einer Fussnote erwähnen, ist dass die beworbenen 20 Stunden nur erfüllt werden, wenn man die Bluetooth-Konnektivität nur minimal nutzt. Meiner Erfahrung nach, heisst minimale Nutzung hier höchstens ein Telefongespräch von 15 Minuten am Tag.

Als Beispiel habe ich damals die Phonak Audeo Marvels getestet. Diese Modelle sind mittlerweile abgelöst durch die Phonak Paradise, die aber wie ich vermute ein ähnliches Problem haben. Die Spezifikationen der Marvels waren Ende 2019 vergleichbar zu anderen Herstellern am Markt, weshalb mein Test repräsentativ gewesen sein wird. Phonak bewarb damals eben diese 20 Stunden Akkulaufzeit. Was sie nicht erwähnten war, dass man grob für jede Stunde die man Bluetooth nutzt, zwei Stunden abziehen musste.

Lasst mich einen Tag beschreiben, der mir mit den Marvels tatsächlich so passiert ist. Ich bin um 7 Uhr morgens aufgestanden, habe dann das Haus verlassen um zum zum Fitnessstudio zu fahren. Dort habe ich eine Stunde ein Hörbuch auf dem Laufband gehört (gestreamed via Bluetooth von meinem Handy). Danach bin ich weiter ins Büro gefahren um ein paar Besprechungen zu haben. Zwei Stunden Besprechungen fanden über ein Videokonferenzsystem statt und ich wählte mich mit meinem Laptop ein. Den Ton der Konferenz erhielt ich über meinen Laptop via Bluetooth in meine Hörgeräte. Bis dahin waren es schon 3 Stunden Bluetooth Streaming, was nach obiger Rechnung einen Abzug von 6 Stunden gibt. Das hiess, ich hatte statt der 20, nur 14 Stunden Strom für diesen Tag. Leider war dieser Tag der Tag unserer Firmenweihnachtsfeier, die nach Feierabend begann. Um es abzuschliessen: ich musste die Party früher verlassen, weil ich nichts mehr hören konnte.

Und das war noch nichtmal ein besonders aussergewöhnlicher Tag. Es war ein sehr normaler Tag für mich wie auch für viele andere Schwerhörige die im Beruf stehen und einen Bürojob in einem internationalen Unternehmen haben. Und ich bin noch sehr bescheiden was meinen Konsum von Audio-Inhalten angeht. Mein (hörender) Ehemann hat normalerweise von der Minute wo der das Haus verlässt bis er wieder kommt Musik auf den Ohren. Warum sollte ich nicht die gleiche Möglichkeit haben?

Und wie so oft, tragen Katastrophen inhärente Probleme nur noch mehr an die Oberfläche – so auch hier. Seit Covid über uns hereinbrach, sitze ich daheim im Home Office. Auf einmal sind alle meine Besprechungen Videokonferenzen. Das heißt, dass ich gut und gerne 4-5 Stunden am Tag per Bluetooth mit meinem Laptop verbunden bin. An manchen Tagen könnte ich keinen vollen Arbeitstag arbeiten, hätte ich mich damals für die aufladbaren Hörgeräte entschieden.

Standardisierung und Verfügbarkeit von Akkus

Ein letzter Punkt, der mich von der Wahl von Akku-Hörgeräten abgehalten hat, ist die fehlende Standardisierung und Verfügbarkeit von Akkus. Unter der Annahme, dass Akkus von mir als Benutzer austauschbar sind (was sie ja leider nicht sind, aber gehen wir mal davon aus), dann vermute ich, dass jeder Hersteller da sein eigenes Süppchen kochen würde. Das heisst es gibt keine Standards und damit könnte man vermutlich nicht die Akkus des einen Herstellers für ein Hörgerät eines anderen Herstellers verwenden. Auch könnten sich keine Drittfirmen etablieren, dass z.B. günstigere oder leistungsstärkere Akkus anbieten.

Das hat für uns als Benutzer immense Nachteile, wenn man die Situation zu gewöhnlichen Batterien vergleicht. Wenn ich zum Beispiel verreise und mir auf der Reise meine Batterien ausgehen (oder kaputt gehen), dann kann ich so ziemlich überall auf der Welt in eine Apotheke, einen Drugstore oder einen Elektroladen gehen und mir neue Hörgerätebatterien kaufen. Mit Akkus wäre das vermutlich nicht so einfach möglich, wenn die Hersteller sich nicht auf einen Standard einigen. Ansonsten steht man als Hörgeräte-Träger dann etwas doof da, wenn aus dem Flieger steigt und die Akkus in dem Moment den Geist aufgeben. Die Wahrscheinlichkeit, dass man an jedem Ort der Welt die Akkus des passenden Herstellers zeitnah bekommen kann, stelle ich mir als sehr gering vor.

Liebe Hörgeräte-Industrie

Zusammenfassend möchte ich an die Hörgeräte-Industrie richten:

Hört auf anzunehmen, dass Schwerhörige kein (soziales) Leben haben.

Es ist traurig, dass ihr davon ausgeht, dass wir (alt wie jung) nur 20-Stunden-Tage haben. Die aussergewöhnlichen Tage sind die wichtigen und unsere Hörgeräte sollten uns auch vollständig durch diese bringen.

Geht nicht davon aus, dass Bluetooth-Nutzung eine Ausnahme ist.

Designt für die Power-User und ihr habt das bessere Produkt! Selbst wenn ihr denkt, dass diejenigen unter uns die öfter mal 20-Stunden-Tage haben eher die Minderheit sind: ja, das mag sein, aber wir sind die Power-User unter euren Benutzern. Oft sind wir auch die Technik-affineren die tatsächlich den ganzen Tag Bluetooth streamen. Und vielleicht sind wir auch die andere in ihren Kaufentscheidungen beeinflussen. Generell ist es eine gute Idee für die Power-User zu designen, denn dann kommt auch für alle anderen ein exzellentes Produkt dabei heraus.

Verabschiedet euch von dem Ziel Hörgeräte immer kleiner zu machen.

Ich vermute, dass ein Grund für die mangelnde Akkulaufzeit ist, dass die Hersteller immer noch einen viel zu hohen Fokus darauf haben, dass Hörgeräte klein und unsichtbar sein müssen. Sonst würden sie die Akkus einfach doppelt so groß machen und das Problem wäre gelöst. Das tun sie aber nicht und das ist leider eine Konsequenz des ewigen Rennens der Hörgeräte-Industrie um immer kleinere Hörgeräte. Ich denke es ist eine fragwürdige Annahme, dass Hörgeräte heutzutage immer noch kleiner werden müssen. Ich vermute, hier spielt noch das Trauma der Industrie von der Marktforschung in den 80ern hinein. Damals waren die Geräte ja wirklich groß und konnten nicht so viel, aber das war nun wirklich eine andere Zeit. Wirklich, sie sind klein genug. Hört auf, für die Größe andere Eigenschaften zu kompromittieren.

Nur um ein Beispiel zu zeigen. Hier ist ein Bild meiner alten Hörgeräte (Phonak Bolero) neben meinen neuen Hörgeräten von 2019 (Phonak Audeo Marvel).

Zwei Hörgeräte im Größenvergleich: oben das Phonak Bolero von 2013, unten das Phonak Audeo Marvel von 2019
Zwei Hörgeräte im Größenvergleich: oben das Phonak Bolero von 2013, unten das Phonak Audeo Marvel von 2019

Die Marvels sind ca. einen Kubikzentimeter kleiner als die alten. Das ist ein Kubikzentimeter den man mit einem Akku hätte füllen können. Aber nein, stattdessen habt ihr euch für kleinere Hörgeräte entschieden. Aber die Boleros waren schon eine gute Grösse. Der entsprechende Platz hinter meinen Ohren ist nun frei, ungenutzt und unsichtbar.

(Kleine Randnotiz: ein geschultes Akustikerauge könnte sehen, dass der Vergleich zwischen den Hörgeräten etwas hinkt, da es sich auch um andere Bauarten handelt. Die Boleros waren Hinterm-Ohr-Geräte wo der Lautsprecher am Gerät sitzt, während die Marvels ex-Hörer Geräte sind, wo der Lautsprecher im Ohrstück ist. Siehe auch Bauformen von Hörgeräten. Schon allein deshalb können die Geräte selber kleiner sein. Das allerdings widerspricht meinem Punkt nicht: sie hätten den Platz gehabt, aber haben ihn nicht genutzt.)

Und falls euch meine Anekdoten nicht genug sind. Es gibt sogar aktuelle Forschung zu dem Thema. Das Forschungsprojekt “Hear how you like to hear” vom Fraunhofer Institut in Oldenburg hat eine Umfrage mit über 600 Teilnehmern gemacht. Unter anderem haben die Forscher gefragt, ob Leute sich vorstellen könnten Hörgeräte sichtbar, also als Mode Accessoire zu tragen. Folgend ein Screenshot aus diesem Vortrag der Projektleiterin des Forschungsprojektes.

Screenshot eines Vortrages des Forschungsprojektes
Screenshot eines Vortrages des Forschungsprojektes

Um die Folie hier im Bild zusammen zu fassen: von den 616 Teilnehmern der Umfrage, waren 245 Hörgeräteträger. Von diesen bejahten 179 diese Frage, aus der folgt, dass die Sichtbarkeit von Hörgeräten gar kein Problem ist. Das sind 73% der befragten Hörgeräteträger. Auch für die die (noch?) keine tragen (366 Teilnehmer) sprach sich hierfür die Mehrheit aus.

Zusammenfassung

Um die Situation um wiederaufladbare Hörgeräte zusammen zu fassen:

  • Die meisten Hersteller bieten wiederaufladbare Hörgeräte mit maximal 20 Stunden Akkulaufzeit nach einem vollen Ladezyklus an.
  • Manche bieten dazu mobile Ladestationen die selbst wiederum Akkus haben an.
  • 20 Stunden sind nicht genug, denn das deckt nur gewöhnliche Tage ab. Aber es sind die außergewöhnlichen, wo wir von unserem Hören nicht im Stich gelassen werden wollen.
  • Schnellladen ist keine Alternative, denn es erfordert eine Ladezeit von 30 Minuten, die ein aktiver Mensch sich nicht unbedingt mitten am Tag leisten kann.
  • Die Nutzung von Bluetooth reduziert die Akkulaufzeit signifikant, zu einem Masse dass Menschen im aktiven Arbeitsleben mit vielen (virtuellen) Besprechungen nicht mehr über einen normalen Arbeitstag kommen würden.
  • Die Industrie hat längere Akkulaufzeiten (z.B. durch grössere Akkus) der (angeblichen) Forderung der Kunden nach kleineren Geräten geopfert.

Schade, dass wiederaufladbare Hörgeräte immer noch nicht so weit sind. Ich hätte bei meinem letzten Kauf gern etwas für die Umwelt getan, aber habe mich dann schweren Herzens doch für die Batterie-Variante entschieden.

8 Gedanken zu „Warum wiederaufladbare Hörgeräte (noch?) nicht das Wahre sind

  1. Pingback: Was an Bluetooth-Hörgeräten nervt | Doofe Ohren

  2. Ich habe Phonak Audeo Marvels mit Batterien + Phonak Audeo Paradise (gebraucht gekauft) mit Akkus.
    Bei gleicher Nutzung (inkl. ca. 2-3 Std. Bluetooth-Streaming) halten die Batteriegeräte weiterhin 5-6 Tage. Die Akkugeräte kommen hingegen nicht über einen normalen Arbeitstag. Ohne Streaming schaffen sie tatsächlich ca. 20 Std.

    Die Akkus werden in 2-3 Jahren zudem an Leistung verlieren, wodurch evtl. nur noch12-16 Std. Nutzung des Tages möglich sind.

    Ehrlich gesagt möchte ich dennoch nicht zur Grösse von Phonak Boleros zurück. Boleros hatte ich (ebenfalls gebraucht erworben) für wenige Jahre. Fand ich schon grenzwertig unangenehm. Zumindest das rechte grössere SP (Superpower) gegenüber dem linken P (Power) Gerät.

    Mein Fazit:
    Ja, Akkugeräte müssen inkl. Bluetooth und andere mögliche Features mind. 30 Std. schaffen, oder alternativ schnell wechselbare Akkus erhalten.
    Wechselbare Akkus sollten möglichst Standartmasse bekommen, wie seit ewigen Zeiten schon HG-Batterien.

    LG, Ralf

  3. Zweifelsohne haben Akku-Hörgeräte Vorteile: ich sehe da die Pflegekraft in einem Altersheim. Sie kann nicht erkennen, ob die Batterien im Hörgerät noch genügend Ladung haben oder nicht. Aber sie kann sich relativ sicher sein, dass die Hörgeräte funktionieren, wenn sie über nach in der Ladeschale waren. Auch für Leute mit schweren Handycaps, die die kleinen Batterien nicht einsetzen können, sind Akku-geräte vorteilhaft. Aber mehr Fälle sind mir nicht einfallen.

    Aber was immer wieder vergessen wird bei Akku-Geräten:

    Sobald man eine Zuzahlung für die Hörgeräte geleistet hat, ist das Hörakustikstudio ermächtigt, für jede Reparatur oder sonstigen Service ebenfalls eine Zuzahlung vom Kunden zu verlangen. Ohne Zuzahlung ist der gesamte Service für 6 Jahre von der Krankenkasse schon im Voraus bezahlt, allerdings mit einem viel zu geringen Betrag. Deshalb wird man ja gedrängelt, Hörgeräte mit Zuzahlung zu kaufen.

    Der Akku ist vielleicht nach 5 Jahren so schlapp, dass er ersetzt werden muss. Diese Reparatur muss man selbst bezahlen. Es handelt sich um eine große Reparatur, also sind bis zu 320 Euro pro Gerät möglich.

    Alle 2-3 Jahre wechselt die Hörgerätegeneration. So hat man nach den 5 Jahren oft schon ein Gerät der vorletzten Generation. Es wird also empfohlen, statt der teuren Reparatur doch lieber Hörgeräte der neuesten Technologie zu kaufen. nach 5 Jahren bekommt man aber keinen Zuschuss von der Krankenkasse, schon allein deshalb, weil ja nur die Energieversorgung kaputt ist, woran sich die Krankenkassen ja grundsätzlich nicht beteiligt.

    Der Hersteller muss Ersatzteile für 6 Jahre nach dem Verkauf des letzten Gerätes vorhalten. Man bekommt also nach spätestens 8-9 Jahre keine neuen Akkus. Aber gerade teure Zuzahlungsgeräte werden mitunter 10 bis 12 Jahre getragen, vor allem deshalb, weil sie mehr Reseve für die Einstellungen haben.

    Hier wirkt der Akku also wie eine künstlicher Verschleiß. Wenn pro Jahr in Deutschland etwa 300.000 Hörgeräte verkauft werden, dann wirkt sich eine Halbierung der Nutzungsdauer der Geräte sehr profitabel aus.

    Praktisch sind die Geräte auch nicht. Ich muss ja ständig die Ladebox mitschleppen und darauf achten, dass der Akku in der Ladebox auch geladen ist. Einen Six-Pack Batterien kann ich problemlos mitnehmen oder hinterlegen: Geldbörse, Handy-Hülle, Büroschreibtisch, Handschuhfach im Auto, Handtasche, Sporttasche, Reisekoffer etc., aber Ladeboxen sind zu teuer, um mehrere anzuschaffen.

    Eine Schnelladung der Hörgeräte dauert mindestens 15 Minuten, ein Batteriewechsel nur ein paar Sekunden, maximal 1 min. Bei einem Vortrag oder einer Konferenz sind die 15 min entscheidend für das Verstehen.

    Die Umweltfreundlichkeit von Akkus ist fraglich. Bisher können Litium-Ionen-Akkus aus Autos noch nicht recycled werden, warum soll das dann bei Hörgeräte-Akkus gehen? Akkus enthalten sehr viel mehr Schadstoffe als die Zink-Kohle-Batterien. Alle in Deutschland in einem Jahr verbrauchten Hörgerätebatterien zusammen enthalten erheblich weniger Blei als eine einzige Autobatterie, die bei einem Unfall ihr Blei in die Umwelt verstreut oder irgendwo auf dem Schrottplatz oder in der freien Natur vor sich hingammelt. Wenn ich das Volumen meiner Hörgerätebatterien in einem Monat betrachte, entspricht das etwa einer AA-Batterie. Das Einsparen einer einzigen AA-Batterie pro Monat hat also mindestens den gleichen ökologischen Effekt, zumal eine normale Alkaline-Batterie sehr viel mehr Schadstoffe enthält als die Hörgeräte-Batterien. Das Umweltargument ist also auf der gleichen Ebene wie „Trink Bio-Wein, das ist besser für Deine Leber“.

    Das Kostenargument fällt ebenfalls weg:
    Der günstigste Six-Pack Batterien mit guter Kapazität (lt. Stiftung Warentest) kostet 95ct. Rechnet man mit einer Reichweite von etwa 1 Woche sind das etwa 100 Batterien pro Jahr, macht also etwa 16€ pro Jahr, also sind es 80 Euro in den 5 Jahren Akkulebenszeit. Die Zuzahlung für den Akku ist aber in der Regel sehr viel höher und man muss ja noch die Kosten für die „Unterwegs“-Ladebox (meist 80€) und den Akkus-Ersatz nach 5 Jahren hinzurechnen. Die Strom-Kosten zum Laden der Akkus kann man allerdings tatsächlich vernachläsigen.

    Fazit: Akku-Hörgeräte haben Vorteile, die aber fast nur auf der Seite der Hersteller und der Hörakustikstudios liegen.

  4. Pingback: EUHA 2022 Teil 1: Neuigkeiten aus der Welt der Hörgeräte | Doofe Ohren

  5. Hallo, ich kann nur zustimmen, dass die Akku-Geräte nachteilig sind. Ich bin schon über 80, versiert auf das Tragen von HG seit ca. 40Jahren. Ich streame auch nicht viel und auch nicht jeden Tag, aber meist reicht der Akku nicht mehr zur Spät-Tagesschau.

    Meine Phonak-Bolero sind noch nicht 3 Jahre alt, und nun fragt man sich, was sinnvollerweise getan werden muss: Akkutausch, eine Revision ( empfiehlt der Akkustiker) oder das Problem „dahinschleppen, bis neue Gerät fällig werden. Alles kostet Geld und umweltfreundlich ist es schon gar nicht!

    Ich hatte bisher nie Probleme mit dem Auswechseln von Batterien und konnte voraussehen, wann ev. aus einer Situation heraus ein prophylaktischer Austausch ratsam war.
    Aber als praktischer Träger von HG den Hersteller von etwas zu überzeugen, hoffnungslos!
    Grüße
    M.

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