Nach einer längeren Pause geht es weiter mit der Reihe wie man einen guten Akustiker findet. Diesmal geht es um die Akustik-Kompetenz. Vermutlich denkt ihr jetzt „Ja, dass ein Akustiker sich mit Akustik auskennt, sollte doch selbst verständlich sein, quasi seine Kernkompetenz, nicht?“ Das habe ich auch mal gedacht, aber in der Realität gibt es hier große Unterschiede.
*Ich verwende im folgenden der Einfachheit halber den Begriff Akustiker für Menschen jedweden Geschlechtes die die für diesen Beruf nötige Ausbildung genossen haben.
Die vorhergehenden Teile dieser Reihe findet ihr hier: Erreichbarkeit (Teil 1), Zwischenmenschlichen (Teil 2), und Portfolio (Teil 3).
Man sollte meinen, dass Akustik-Kompetenz die wichtigste Kompetenz von Akustikern sein sollte, denn die Menschen mit den passenden und gut eingestellten Hörgeräten zu versorgen ist ja schließlich ihre Aufgabe. Das sehe ich grundsätzlich auch so und deshalb ist dieser Teil auch eher einer der letzten dieser Artikelreihe. Dennoch fand ich es wichtig es zu erwähnen, denn auch was Akustik-Kompetenz angeht, gibt es gute und weniger gute Akustiker da draußen.
Natürlich ist es schwierig für dich als Laien abzuschätzen wie gut ein Akustiker in dieser Hinsicht ist. Auch ist es quasi unmöglich das vor dem ersten Besuch einschätzen zu können, wenn man nicht zufällig eine Empfehlung von jemand anderem bekommen hat. In diesem Artikel gebe ich ein paar Anhaltspunkte an der man die Kompetenz eines Akustikers in Sachen Akustik erahnen kann.
Der Beruf des Hörgeräteakustikers
Bevor wir ins Thema einsteigen, möchte ich kurz ein paar Begriffe klären. Der Beruf des Hörgeräteakustikers wird laut Wikipedia beschrieben als „Ein Handwerker, der Hörgeräte individuell anpasst und wartet“. Dieser Beruf ist sehr vielseitig, denn ein Akustiker muss sich dafür mit sehr vielen Bereichen auskennen: „Akustik, Anatomie, Audiologie, Psychologie und Hörgerätetechnik, Audiometrie, Ohrabformung, Otoplastikfertigung, Reparaturtechnik und Hörgeräteanpassung mittels Software und spezieller Messtechnik.“ Akustik ist also nur ein Aspekt dieses Berufes.
Was genau ist denn Akustik? Das ist (laut Wikipedia) „die Lehre vom Schall und seiner Ausbreitung„. Das ist erstmal ganz allgemein und hat nichts speziell mit Hörgeräten zu tun, bildet aber natürlich die Grundlagen für ihre Funktionsweise. Es gibt mehrere Unterbereiche der Akustik, unter anderem die physiologische Akustik, welche die „Schallaufnahme und Schallübertragung in den Gehörorganen“ bezeichnet. Das ist natürlich schon näher am Beruf des Akustikers. Darüberhinaus gibt es noch die psychologische Akustik, welches „die Umsetzung der akustischen Nervenreizung in die Hörempfindung“ ist. Auch das hat mit dem Beruf des Akustikers zu tun, denn vieles von dem wie wir hören hat mehr mit der Verarbeitung im Gehirn als im Ohr oder im Hörgerät zu tun. Ein Akustiker muss also von vielem ein wenig sein: vom Mechaniker bis hin zum Psychologen.
Ein weiterer Begriff der im Bezug auf Hörgeräte oft genannt wird ist die Audiologie. Das ist (laut Wikipedia) „die Wissenschaft des Hörens im Sinne von Wahrnehmung des Schalles„. Das ist quasi der Bereich der Wissenschaft, welcher die Erkenntnisse findet, die dann später unter anderem in die Entwicklung von Hörgeräten einfließt. Das ist die Theorie zur Praxis der Arbeit eines Akustikers. Ich erwähne den Begriff hier, denn oft wird im englischen Sprachraum der Beruf des „Audiologist“ synonym für den eines Hörgeräteakustikers verwendet. Im Deutschen ist das eher ungewöhnlich, denn der Audiologie ist der Forscher, während der Akustiker für die praktische Umsetzung zuständig ist.
Das passende Gerät für dich
Ein Akustiker sollte dir das Hörgerät verkaufen was zu dir, deiner Situation und deinem Hörverlust am besten passt. Das beinhaltet, dass er sich auch die Mühe macht, mehr als nur dein Audiogramm von dir zu erfahren. Idealerweise fragt er dich im Kundengespräch nach deinen üblichen akustischen Situationen (z.B. gehst du viel in die Oper, sprichst du oft vor vielen Menschen, arbeitest du in einer lauten Umgebung), die Menschen mit denen du am meisten Zeit verbringst (z.B. Ehepartner, Kinder, Kollegen), ob du viel in Fremdsprachen kommunizierst (z.B. auf der Arbeit in einer internationalen Firma) und deine Technikaffinität (z.B. ob du viel Musik mit dem Handy hörst, oder Podcasts bei der Arbeit).
Die Kompetenz liegt dann darin aus diesen Informationen auch die richtigen Schlüsse zu ziehen. Wenn du z.B. viel Zeit mit Kindern verbringst, sollte er um so mehr drauf achten, dass du hohe Stimmen gut verstehst. Wenn du viel in lauten sozialen Situationen (Restaurants, Großraumbüros) verbringst, sollte dein Hörgeräte gute Richtungsfokussierung und Störlärmunterdrückung haben. Wenn du viele Inhalte über technische Geräte (Handy, Laptop) hörst, sollte dein Hörgerät in der Lage sein, sich direkt oder indirekt mit Adapter dazu zu verbinden.
Feedback einholen und umsetzen
Nicht nur im initialen Gespräch über deine generelle Situation, sondern auch später im Anpassungsprozess, sollte dein Akustiker immer mal wieder Feedback einholen wie du mit der Anpassung des Hörgerätes klar kommst und aus diesem Feedback wiederum umsetzbare Schlüsse ziehen. Das ist eine Kunst, denn als Laie sind wir nicht unbedingt immer in der Lage schwierige akustische Situationen gut zu beschreiben. Da muss ein Akustiker auch schonmal aus Beschreibungen wie „Immer wenn die Tatort-Titel-Melodie spielt, fiept mein linkes Hörgerät“, „Wenn Tante Erna Onkel Fred ins Wort fällt, wird es auf einmal blechern“, oder „Wenn ich am Marienplatz aus der U-bahn steige wird auf einmal alles leise“ die richtigen Schlüsse ziehen.
Häufig testen
Alle guten Akustiker, in deren Obhut ich mich bisher gegeben habe, haben viel getestet. Es ist das eine seinem Kunden zu glauben „Ja, ist alles gut“ oder sich davon in einem Test zu überzeugen. Da gibt es z.B. den Sprachverständlichkeitstest. Viele Akustiker machen den nur am Ende einer Anpassung um der Krankenkasse zu beweisen dass das neue Hörgerät den Hörverlust angemessen versorgt. Meine Lieblingsakustikerin hat diesen Test bei einer Anpassung ein Dutzend mal gemacht, bis ich auch das letzte „s“ und „f“ in allen Wörtern verstanden habe.
Realistisch testen
Ein Problem bei der Hörgeräteanpassung in Deutschland ist meiner Meinung nach, dass sie vor allem in künstlicher Umgebung stattfindet. Die meisten Akustiker machen ihre Arbeit in einem relativ gut isolierten Raum, in dem kaum Hintergrundgeräusche vorhanden sind. Wenn sie dich nach einer Änderung der Parameter dann fragen, ob es sich besser anhört, sagt das in den meisten Fällen gar nichts aus. Die Wahrscheinlichkeit ist sowieso hoch, dass du deinen Akustiker in dem Moment gut verstehst, denn kein Hintergrundgeräusch stört, ihr sitzt euch gegenüber, die Sicht (zum Lippenlesen) ist gut und der Kontext ist klar. Wenn aber die akustische Situation die du ihm zuvor als schwierig beschrieben hast eine ganz andere war, z.B. das Sprachverstehen in einem lauten Restaurant, dann kannst du nur wissen ob es besser ist, wenn du dich in die Situation wieder begibst – also ab ins Restaurant.
Die wenigsten Akustiker würden sich allerdings die Zeit nehmen mit dir einen Restaurantbesuch zu verbringen. Was allerdings geht, ist zum Beispiel mal kurz auf die Strasse vor der Filiale gehen um zu gucken ob es denn schonmal besser ist mit Auto-Störlärm im Hintergrund. Auch können Akustiker Situationen wie Restaurantbesuche akustisch simulieren, indem sie Störlärm über Lautsprecher in ihrem Büro abspielen. Das finde ich schonmal nicht schlecht, auch wenn das noch ein sehr künstliches Setup ist, wenn die Lautsprecher „zufällig“ genau links und rechts hinter dir stehen und dein Gesprächspartner genau vor dir sitzt. Das ist auch wieder unrealistisch zu einem Restaurantbesuch wo der Lärm von allen Seiten kommt und deine Gesprächspartner um einen Tisch verteilt um dich rum sitzen.
Ich persönlich warte ja noch auf den Tag wo Akustiker Hausbesuche machen oder wenigstens Anpassung aus der Ferne in realistischen Situationen mehr praktiziert wird.
Rückkopplungen in den Griff kriegen
Eine Aufgabe, bei der ich in der Vergangenheit Akustiker sehr oft kämpfen sah, ist es unerwünschte Rückkopplungen in den Griff zu kriegen. Rückkopplungen sind ein häufiges Problem bei Hörgeräten (siehe Warum fiept mein Hörgerät?), aber es ist ein lösbares Problem. Am Ende deiner Hörgeräteanpassung sollten sie nicht mehr oft auftreten. Das sollte passieren ohne dass wichtige Frequenzen dauerhaft gedämpft sind, denn wenn dein Hörgerät die Frequenzen die du verstärkt brauchst, wegen Rückkopplungen nicht verstärkt, ist deinem Hörverlust nicht geholfen.
Hier sollte dein Akustiker also seine Energie reinstecken, wissen was er in seiner Software machen muss und auch die Option andere Ohrstücke zu wählen nicht außer Acht lassen. Und auch hier bietet sich der Sprachverständlichkeitstest an um zu überprüfen ob dir nicht wichtige Laute fehlen.
Du bist mehr als dein Audiogramm
Die meisten Hörgeräteanpassungen fangen mit der Ermittlung deines Audiogramms durch Hörtests an. Nachdem dein Akustiker dann ein Hörgerät und Ohrstück für dich ausgewählt hat, schmeißt er seine Software an. Diese berechnet dann einen ersten Satz Parameter passend zu deinem Audiogramm, den Hörgeräten und dem Ohrstück. Das ist in den meisten Fällen auch eine passable erste Wahl, denn die Hersteller stecken schon einiges an Gehirnschmalz in ihre Software.
Allerdings ist das mehr die Pflicht und die Kür kommt danach erst. Menschen mit dem gleichen Audiogramm und den gleichen Hörgeräten können trotzdem Audiosignale sehr unterschiedlich verarbeiten und wahrnehmen (hier kommt die Psychologie ins Spiel). Wir Menschen sind mehr als nur unsere Ohren, denn der Rest unseres Körpers, insbesondere das Gehirn, sind ja auch noch da. Was ich damit sagen will, ist, dass nach der ersten automatischen Anpassung die Kunst des Akustik erst losgeht. Wenn es so einfach über eine Software ginge, bräuchte man ja auch keinen menschlichen Akustiker mehr.
Gute Akustiker können mit ihrer Software umgehen und wissen auch um die Limitierung derselben, der Voreinstellungen durch den Hersteller oder speziellen Features wie die Rückkopplungsunterdrückung. Mit ein paar manuellen Anpassungen können sie oft von einer mittelklassigen Voreinstellung zu einer guten Anpassung kommen. Auch hier hilft es, wenn du ihnen präzises Feedback über deine Erfahrungen in verschiedenen Hörsituationen gibst und dein Akustiker das Ergebnis immer wieder mit Tests auswertet.
Zusammenfassung
Ich hoffe ich habe dir mit diesem Artikel ein paar Tipps geben können, wie man die akustische Kompetenz seines Akustikers einschätzt:
- Er sollte häufig und in realistischen Situationen testen und seine Einstellungen oft mit Tests verifizieren.
- Er sollte aus deinen Beschreibungen von generellen und sehr speziellen Hörsituationen die richtigen Schlüsse für die Hörgeräte-Parameter ziehen.
- Rückkopplungen sollten in den Griff zu bekommen sein.
- Er sollte mehr tun als nur die Standardeinstellungen der Software zu übernehmen.
Und an dieser Stelle noch der Hinweis, dass es durchaus okay ist den Akustiker zu wechseln, wenn du den Eindruck hast dass er es nicht schafft deine Hörgeräte gut an dich anzupassen.
Weiter geht es mit Teil 5: Wie findet man einen guten Akustiker? Teil 5: Technikkompetenz