Neutrale Hörgeräteberatung

Welchen Wert hat unabhängige Beratung?

Seit Herbst 2021 schreibe ich als freie Autorin für die Audio Infos. Dieser Artikel ist ursprünglich in der Audio Infos Ausgabe April 2022 unter dem Titel „Neutralität und Unabhängigkeit“ erschienen. Audio Infos ist die Fachzeitschrift für Akustiker*innen, https://www.audio-infos.de/.

Ich war Ende 20 als ich bemerkte, dass mein Gehör nachliess. Die schwierigste Situation war mit Freunden im Pub zu sitzen, ein klassisches Beispiel für den “Cocktailparty” Effekt.

Bald begann meine erste Hörgeräteversorgung. Leider war diese nicht so erfolgreich wie sie vielleicht hätte sein können. Ich brauche Verstärkung in den hohen Frequenzen, welche auch gerne Rückkopplungen auslösen. Mit diesen hatte ich immer wieder zu kämpfen. Mein Akustiker stellte immer wieder an den Parametern herum. Am Ende waren die Rückkopplungen weg, aber die hohen Frequenzen auch so abgesenkt, dass mir das Hörgerät gar nicht mehr so viel half. Im Nachhinein habe ich gelernt, dass es noch ein paar andere Optionen gegeben hätte. Unter anderem hat er mir nie angeboten die Domes gegen angepasste Ohrstücke mit minimalem Luftloch zu ersetzen. Stattdessen hat er mich mit einer Anpassung in die Welt entlassen, mit der ich zwar gerade den Abschlusstest für die Krankenkasse “bestand”, aber immer noch in den Cocktailparty-Situationen litt. 

Das Ende dieser “Hörreise” kam leider auch recht schnell. Vielleicht waren es die vielen Abende im Pub schuld wo mir meine Freunde trotz Hörgeräte ins Ohr schreien mussten. Es kam, wie es kommen musste: nach 3 Jahren wurde mein Gehör minimal schlechter und schon reichten die Geräte nicht mehr aus. Es begann eine Odyssee in Krankenkassen-Bürokratie mit endlosen Telefonaten mit deren Sachbearbeitern. In einem Gespräch frug mich die Sachbearbeiterin: “Warum haben Sie denn nicht ein Gerät gekauft, was noch etwas ‘Luft nach oben’ gehabt hätte?” Es stellte sich heraus, dass ich eins der günstigen und schwächsten Geräte hatte, die gerade so auf meinen Hörverlust passten. Ich vermute mein Akustiker hatte angenommen, dass ich mir als Studentin nicht mehr hätte leisten können. Aber er hat es mich nie gefragt und mir auch nie erklärt wie viel mehr der Markt anbiete. So erfuhr ich erst Jahre später, dass ich mit etwas mehr finanziellen Einsatz eine der vermutlich wichtigsten Investitionen in meinen Berufsstart hätte machen können.

Die Frage der Krankenkassenmitarbeiterin machte mich nachdenklich. Hätte ich als Kundin besser aufpassen müssen, was mir der nette Herr Akustiker da empfahl? Er war freundlich und wirkte kompetent. Ich vertraute ihm mein Gehör an. Was hätte ich als Laie auch anders tun können? Hätte ich wissen müssen, dass es so etwas wie angepasste Ohrstücke gibt? Hätte ich mein Audiogramm mit den Leistungsgrenzen der Geräte vergleichen müssen um zu gucken wieviel Luft da noch nach oben ist? Hätte ich die Leistungsgrenzen überhaupt irgendwo nachschauen können? Hätte ich recherchieren müssen was die Bandbreite an Hörgeräte-Leistungsklassen hergibt um dann zu entscheiden, welche ich mir leisten kann und will?

Mich beschlich das Gefühl, dass ich mir viel Ärger erspart hätte, wenn ich eine kritischere Kundin gewesen wäre. In Sachen Gesundheit habe ich immer auf meine Ärzte gehört und als mein HNO-Arzt mich zum Akustiker schickte, war ich davon ausgegangen, dass hier in guten Händen sein werde. Wären Hörgeräte nicht Medizingeräte, sondern Lifestyle-Elektronik gewesen, wäre ich ganz anders an die Sache herangegangen. 

Man kann nun diskutieren, ob Hörgeräte eigentlich zum Teil Lifestyle-Elektronik sind. Natürlich sind sie in erster Linie Medizingeräte, aber die Hersteller bieten auch mehr und mehr Lifestyle-Features an. Die Krankenkasse zahlt gerade mal circa 750 Euro pro Gerät, während die Preise bei High-End-Geräten auch gerne die 3000 Euro überschreiten. Den Teil, den ich hier hinzu bezahle, also gut und gerne 75% des Gerätes, sieht zumindest meine Krankenkasse als unnötigen Lifestyle an.

Wenn ich nun aber anfangen möchte, meine Hörgeräte so sorgfältig und kritisch auszusuchen wie ich das bei meinen anderen Lifestyle-Geräten tue, dann stoße ich auf einige Schwierigkeiten. Es gibt leider nur wenige Quellen, bei denen man sich als Hörgeräteträger unabhängig über die aktuell angebotenen Hörgeräte informieren kann. 

Wenn ich einen neuen Computer kaufe, dann lese ich Testberichte in Zeitschriften und Internet-Portalen. Meinen Toaster habe ich nach einem Bericht der Stiftung Warentest ausgesucht. Meine Küchenmaschine nach dem Schauen von etlichen Video-Reviews auf Youtube. Meinen Grill habe ich gekauft, nachdem ich mich einen Sommer lang bei meinen Freunden auf deren Grillparties durchgefuttert habe. Mein Auto habe ich erst bezahlt, nachdem mein Cousin, der Automechaniker ist, bestätigte dass meine Wahl auf ein gutes Modell gefallen war. All diese Quellen waren unabhängig von den Herstellern und Verkaufenden.

Diese Optionen habe ich beim Hörgerätekauf nicht. Ich vermisse im Kiosk die Hörgeräte-Bild mit Testberichten. Die wenigen Internetportale die sich mit Hörgeräten beschäftigen, stellen sich als nicht so unabhängig heraus, wenn man mal ins Impressum schaut. Da stehen dann meist Akustikerfachgeschäfte und -verbände, oder sogar Werbeagenturen, wo es mir Kunde verborgen bleibt wer sie bezahlt. Ich kann auch nicht bei meinen Freunden Hörgeräte probehören, denn zum einen gibt es in meinem Alter nicht so viele Hörgeräteträger, zum anderen sind Hörgeräte natürlich eine sehr individuell angepasste Sache. Und selbst wenn man Freunde mit Hörgeräten hat, so führen die langen Austauschzyklen von 6 Jahren dazu, dass man sich selten mit jemandem über aktuelle Modell austauschen kann. Und einen Cousin, der Akustiker ist, den habe ich leider auch nicht. 

Mir fehlt als Kundin auf dem Weg zum Hörgerät eine Informationsquelle, die mir unabhängig bestätigen kann, ob ich gerade die richtige Kaufentscheidung für mich treffe.

Die Stiftung Warentest testet übrigens keine Hörgeräte mit der Begründung dass der Kauf eines Hörgerätes eine sehr individuelle Entscheidung ist, weil ja jeder Hörverlust anders ist. Es geht also nicht nur um unabhängige Bewertung der aktuellen Geräte am Markt, sondern auch unabhängige Bewertung welches Gerät am besten zu mir passt. 

Mangels unabhängiger Beratungsstellen könnte ich mir überlegen einen weiteren Akustiker zu konsultieren um zu schauen ob er mir ähnliche Geräte empfiehlt. Allerdings werden Akustiker in unserem Gesundheitssystem pro Abschluss bezahlt. Ich kann verstehen, dass die meisten nicht glücklich damit sind, wenn ich sie “nur” für eine zweite Meinung konsultiere und nicht am Ende bei Ihnen kaufe. Ich wertschätze es ja durchaus, dass sie ihre Zeit für mich aufgewendet haben.

Die Schweiz war schon immer ein Beispiel an Neutralität. Dort fand ich neulich, was ich auch gerne in Deutschland hätte. Seit über 100 Jahren gibt es pro audito, eine karitative Organisation, welche Hörberatung für Schwerhörige anbietet. Sie wurde ursprünglich von kirchlichen Organisationen gegründet, finanziert sich heute über staatliche Zuschüsse, Spenden und Beiträge für ihre Dienstleistungen. Das klingt doch sehr viel vertrauenswürdiger als Werbeagenturen, oder nicht? 

Ich frage mich also weiterhin: Wo finde ich in Deutschland unabhängige Hörberatung? Wie kann ich herausfinden ob das Hörgerät, welches mir die freundliche Akustikerin anbietet, das richtige für mich ist? Bin ich die einzige Hörgeräteträgerin, die dieses Bedürfnis hat, bei vierstelligen Investitionen mehr als nur das Wort des Verkaufenden zu hören?

12 Gedanken zu „Neutrale Hörgeräteberatung

  1. Du sprichst mir aus der Seele! Als Privatversicherter Schwerhöriger hat meine Versicherung bei meinen Geräten (trage nun die dritten schon 6 Jahre) zwar 2 Drittel übernommen… (Preis jedesmal knapp unter 3000 €), aber jedesmal knapp die *besten* zu nehmen, mit ausgiebiger teilweise wochenlanger Einrichtung ist schon toll, aber ob es nicht doch bessere preiswertere für mich gegeben hatte? Wer weiss? Gegenüber dem Hören ohne Geräte ein Wahnsinnsvorteil, immerhin…
    Neutrale Beratung für „mich“ wünsche ich mir nach deinem Beitrag sofort!
    Danke!
    Jump

  2. Ich dachte, es ist Standard oder gute Praxis ist und Voraussetzung für die Kostenübernahme durch die Krankenkasse, dass es noch Luft nach oben geben soll bei der Hörgeräteanpassung. Jedenfalls sagte mir das mein Hörakustiker in den ersten Jahren meiner Schwerhörigkeit. Das ist aber auch schon über 30 Jahre her und bei mir lag auch eine Erkrankung zugrunde, mit der ein weiterer Hörverlust wahrscheinlich war.
    Eine unabhängige Beratung zu Hörgeräten und zur Hörgeräteeinstellung wäre super. Da bräuchten wir auch so eine Stiftung in Deutschland.
    Pro Audito in der Schweiz haben eine Reihe interessanter Projekte, u. a. auch Kurse in Kommunikation und im Mundabsehen.

  3. SSie haben exakt das gleiche Problem wie ich! Zwar bin ich mit Pre-Sixty schon etwas älter, nehme aber trotzdem gerne an Events teil. Meine Hörgeräte wurden von einer „One-Woman-Roadshow“ Akustikerin „empfohlen“. Und doch gelingt es nir auch nach Wechsel zu einem anderen Anbieter (Am….) und einem sehr sehr netten Aktustiker, nicht am Leben teil zu haben. Konferenzrräume die möglichst steril gehalten sind, Arztpraxen mit glatten Wänden und viel Hall .. und ich stehe da, frage entweder tausend mal nach, nerve damit alle, oder aber ich bin brav still, sitze da und warte darauf das einer ein Protokoll schickt, welches ich dann lesen kann.
    3.000€ für EIN Gerät kann ich, als beidseitig geschädigter, einfach nicht aufbringen.
    Also bin ich darauf angewiesen, dass in 3 Jahren die Technik weiter vorangeschritten ist, und ich mit der mir möglichen Zuzahlung Geräte bekomme die endlich meine Situation verbessern und vielleicht sogar Bluetooth bieten.
    Es ist zum k…. Mäuse melken!
    Ich verfolge weiterhin Ihre Beiträge, über welche ich auf Xing aufmerksam wurde.

  4. Hallo Helga,

    möglicherweise ist als Ergänzung und Abrundung das Vergleichsportal https://www.hoershop.com/hoergeraete/suche interessant. Es kann bei der Einordnung von technischen Fähigkeiten von Hörsystemen helfen.
    Das Portal selber verkauft keine Hörgeräte, sondern Zubehör (wie Filter und Schirmchen). Die Testberichtseiten werden über Werbung gegenfinanziert, überwiegend über Google Adsense (und damit ohne Abhängigkeit z.B. von Hörgeräteherstellern).

    Als alleinige Entscheidungsgrundlage ist es sicher nicht geeignet, aber möglicherweise eine interessante zusätzliche Informationsquelle.

  5. Hallo Helga,
    ich trage Inohrhörgeräte mit Schirmchen und bin momentan sehr zufrieden.
    In einem Podcast (Starkey) gab es einen Bericht über den InOhrscanner. Fand ich Super. Das Hörgerät kann so noch tiefer eingesetzt werden.
    Einige Probleme erledigen sich damit. Nun stellte sich aber die Frage, welcher Akustiker bietet das in meiner Nähe an? Ich also die Firma angeschrieben.
    Antwort: Aus DSGVO dürfen wir ihnen das nicht mitteilen. .

    • Es ist zum Maeuse melken! Ich vermute stark, dass hier die DSGVO nicht verstanden wurde. Normalerweise soll sie ja nur Nutzerdaten schuetzen. In diesem Fall waere es ja kostenlose Werbung fuer die Firma gewesen und ich wette da haette diese nichts gegen gehabt.

  6. Hallo zusammen,
    dieser ganze Blog, den ich heute per Zufall entdeckt habe, berührt mich zutiefst. So Vieles wird in den einzelnen Beiträgen angesprochen, was mich als Pre-sixty (sehr netter Ausdruck eines Vorkommentators 🙂 ) seit Jahrzehnten als Schwerhörende betrifft, beschäftigt, zur Verzweiflung treibt und auch traurig macht. So erhellend ist alles, was ich hier lese … und ich habe wieder Hoffnung, künftig doch wieder besser hören zu können. Im Februar erst habe ich mich für zwei neue Hinterohrgeräte entschieden (Horizon), mit denen ich beim Probetragen wirklich sehr zufrieden war. Die neuen Geräte mussten überraschenderweise neu eingestellt werden, das Profil von den Probegeräten, das wir über Wochen immer feiner eingestellt hatten, konnte nicht 1:1 kopiert werden. Eine Tatsache, die ich rein technisch, nicht nachvollziehen konnte. Im Verlauf des weiteren Tragens hatte ich den Eindruck, dass getroffene Einstellungen sich verändert haben bzw. in bestimmten Hörsituationen der Lautsprecher des Gerätes defekt ist. Die Akustikerin prüfte das Gerät und befand alles für in Ordnung. Ich, als Laie muss das glauben, dachte ich mir …. bis jetzt. Ist es vermessen zu fragen, ob mir jemand in der Runde einen Akustiker nennen kann, der wirklich neutral ist und noch einmal die Einstellungen meines Gerätes und das Gerät selbst prüft? Und nach allem was ich hier lese, hege ich enorme Zweifel, dass ich überhaupt die passenden Geräte für meine Art des Gehörverlustes gekauft habe. Komme ich zur nächsten Frage: gibt es eine Möglichkeit, gebrauchte Hörgeräte wie diese ggfs. zu verkaufen, wenn sie sich als nicht richtig erweisen und ich mir doch andere zulegen will / muss. Jedes Gerät hat 3.000 EUR gekostet, das ist eine enorme Investition, denn auch bei mir hat die Krankenversicherung nur die Hälfte pro Gerät übernommen und die nächste Zuzahlung erfolgt erst in 6 Jahren.

    • Liebe Silvia,

      es freut mich dass ich mit meinen Artikeln dich angesprochen habe!

      Zu deinen Fragen: Ich denke es gibt leider keine „neutralen“ Akustiker bzw. Pruefstellen, die dir sagen koennen ob das Geraet was du gekauft hast fuer dich passt und korrekt ist – denn alle anderen Akustiker haetten ja auch ein Interesse daran dir stattdessen eins ihrer Geraete zu verkaufen. Ich kann mir aber vorstellen, dass es den ein oder anderen Akustiker gibt, den man einfach pro Stunde fuer eine Ueberpruefung bezahlen kann. Das habe ich selbst noch nie so versucht, aber wuerde es tun wenn ich in deiner Situation waere. Ich weiss zumindest dass manche Akustiker pro Stunde abrechnen, wenn man z.B. am Urlaubsort schnell Hilfe braucht mit seinem Hoergeraet, aber das Geraet halt damals nicht dort gekauft hat.

      Theoretisch darf man Hoergeraete nicht auf den ueblichen Plattformen (Ebay etc.) verkaufen, weil es sich um medizinische Geraete handelt. In der Praxis findet man dort aber schon Eintraege und ich weiss von dem ein oder anderen der dort gebraucht Geraete gekauft hat. Das ist aber meistens nur fuer Leute interessant die sich ihre Geraete selbst einstellen (koennen). Denn wenn man einfach so Hoergeraete gebraucht kauft, dann muss man ja trotzdem noch einen Akustiker finden der einem die dann einstellt und das werden vermutlich die wenigstens – zumindest kostenguenstig – tun.

  7. Pingback: Kundendisziplinierung bei Ablauf der Testphase | Doofe Ohren

  8. Es gibt eine ganze Reihe von Anlaufstellen hier eine kleine Auswahl:
    1. Deutscher Schwerhörigenbund: https://www.schwerhoerigen-netz.de/ vertritt die Interessen der Hörbeeinträchtigten und hat ein großes Netzwerk von Menschen die beratend tätig sind
    2. Verschiedene Uniklinikern und andere in der Audiologie forschende Institutionen bieten Hörberatungen an z.B.: https://www.hz-ol.de/de/ (Hörzentrum Oldenburg) oder https://www.kgu.de/einrichtungen/kliniken/hals-nasen-ohrenheilkunde/fuer-unsere-patienten/hoerzentrum (UNI-Klinik Frankfurt) um nur zwei Beispiel zu nennen.
    3. Die Deutsche Gesellschaft für Audiologie (DGA) https://www.dga-ev.com/ ist zwar eine Organisation für Fachleute (audiologen) kann Ihnen aber eventuell einen „Fachmann“ vermitteln.
    4. Öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige für das Hörakustik Handwerk werden oft als Sachverständige von den Gerichten beauftragt. Sie sind per Definition zur Neutralität verpflichtet. Sie sind über das ganze Bundegebiet verstreut und in https://www.svd-handwerk.de/suche.php können sie jemanden in Ihrer Nähe suchen.

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