Bauformen von Hörgeräten

Hörgeräte ist nicht gleich Hörgeräte. Wenn man sich zum ersten mal mit Hörgeräten beschäftigt, stellt man fest, dass es viele unterschiedliche Varianten gibt. Das ist ein wenig wie bei Autos, wo man sich auch erstmal entscheiden muss ob man einen SUV, eine Limousine oder einen Mittelklassewagen kaufen möchte und sich danach entscheiden muss welche Motorisierung, Innenausstattung und Farbe man haben möchte.

Hörgeräte sind ähnlich komplex was ihre Auswahl angeht. In diesem Blog erkläre ich nach und nach, welche Unterschiede es gibt. Der grösste und offensichtliche ist die Bauform, auf die ich in diesem Artikel eingehen werde.

Grundaufbau

Hörgeräte sind grundsätzlich immer gleich aufgebaut. Es gibt drei Teile:

  • Ein Mikrofon (manchmal auch mehrere), welches die Audiosignale der Umwelt aufnimmt.
  • Ein kleiner Computer, welcher die aufgenommen Signale verarbeitet und in ein neues Signal abwandelt. Dieses abgewandelt Signal ist dann an den Hörverlust des Hörgeräte-Trägers angepasst. Diesen Teil nennt man daher auch Schallwandler.
  • Einen Lautsprecher, welcher das abgewandelte Signal ausgibt.
Mikrofon + Laptop + Megafon
Ein Hörgerät ist im wesentlichen eine Kombination aus Mikrophon, Computer, und Lautsprecher.

Etwas abstrahiert also:

Mikrophonmembran + Leiterplatte + Lautsprechersymbol
Abstrahiert: Mikrophon, Computerlogik, Lautsprecher

Was die Bauformen von Hörgeräten angeht, so sind es im wesentlichen verschiedene Varianten diese drei Elemente zu arrangieren. Hier unterscheidet man:

  • In-Ohr-Hörgeräte
  • Hinterm-Ohr-Hörgeräte

Bei Hinterm- Ohr-Hörgeräten gibt es noch die Untervariante der Ex-Hörer-Geräte.

In-Ohr-Hoergeraete (In-Ear)

In-Ohr-Hörgeräte sind quasi so gebaut, dass man Mikrophon, Schallwandler und Lautsprecher direkt aneinander eng zusammen zu einem „Knubbel“ gepackt hat. Dieser Knubbel ist dann so klein, dass er ganz in den Gehörgang passt. Manchmal sind die so klein, dass man sie von außen kaum sieht. Es gibt aber auch Varianten, die den kompletten Gehörgang bis außen ausfüllen und daher eher sichtbar sind.

Ein Im-Ohr-Hörgerät
Ein Im-Ohr-Hörgerät

Vorteile von In-Ohr-Hoergeraeten

  • Räumliches Hören funktioniert besser. Zu hören aus welcher Richtung etwas kommt, dafür ist unter anderem die Form unserer Ohrmuschel verantwortlich. Bei In-Ohr-Geräten (im Vergleich zu Hinterm-Ohr-Geräten) kommt der Schall ganz normal durch die Ohrmuschel zum Gerät, weshalb das räumliche Hören gut funktioniert.
  • Kopfhörer. Man kann einfacher Kopfhörer darüber tragen ohne Rückkopplungen („Fiepen“) zu verursachen. Beachte aber, dass dies nicht die beste Lösung ist um Audiosignale z.B. vom Computer zu hören. Dafür gibt es Adapter mit denen man die Hörgeräte direkt mit dem Computer verbinden.
  • Kopfbedeckungen und Brillen. Man kann einfacher Kopfbedeckungen und Brillen gleichzeitig mit den Hörgeräten tragen ohne dass es sich „hinterm Ohr“ knubbelt und Druckstellen und Unannehmlichkeiten verursacht.
  • Unsichtbarkeit. Sie sind fast unsichtbar (mehr dazu siehe unten).

Nachteile von In-Ohr-Hoergeraeten

  • Begrenzte Lautstärke. Da sie so klein sind, ist ihre Leistung begrenzt und sie sind daher nur für geringe bis mittlere Hörverluste geeignet. Das könnte sich aber durch weitere Leistungssteigerung des Technik in den nächsten Jahren relativieren.
  • Weniger drahtlose Verbindungsmöglichkeiten. Da sie so klein sind, ist wenig Platz für z.B. Antennen um die Hörgeräte zu Accessoires zu verbinden.
  • Kein Bluetooth. Für manche drahtlose Verbindungsmöglichkeiten, allen voran Bluetooth, muss das Hörgeräte außen am Kopf sein, weil der Schädel sonst den Empfang verhindert. Dafür sind In-Ohr-Geräte also nicht geeignet.
  • Irritationen des Gehörgangs. Die Geräte stecken im Gehörgang. Die Haut im Gehörgang kann davon irritiert werden und es besteht die Gefahr, dass sich Druckstellen und endzündliche Stellen bilden.
  • Weniger Strom. Weil im Gehörgang nicht viel Platz ist, kann man in In-Ohr-Geräten auch nicht so große Batterien oder Akkus verbauen und muss daher öfter die Batterien wechseln oder die Akkus aufladen.

Hinterm-Ohr-Geräte (Behind-the-Ear)

Bei Hinterm-Ohr-Geräten sind die grössten Bauteile, nämlich das Mikrofon und der Computer – wie der Name schon sagt – hinter dem Ohr. Der umgewandelte Schall wird dann über eine Verbindung in den Gehörgang geleitet. Hierbei gibt es zwei Varianten:

  • Die klassische Bauform hat den Lautsprecher oben an dem Gerät hinter dem Ohr. Daran angeschlossen ist ein Schlauch mit Luft, der mit einer weiteren kleinen Membran im Gehörgang endet.
  • Die Bauform „Ex-Hörer“ hat den Lautsprecher dagegen im Gehörgang und ist mit dem Hinter-dem-Ohr-Teil über einen Schlauch mit einem dünnen Kabel verbunden. Ex-Hörer heißt quasi „Hörer außerhalb des Gerätes“.
Ein Hinterm-Ohr-Hörgerät
Ein Hinterm-Ohr-Hörgerät

Ex-HÖRER oder Klassisch

Wenn du überlegst ob du die klassische Bauform oder die Ex-Hörer-Bauform wählen solltest, bedenke folgende Vor- und Nachteile:

  • Entfernung vom Lautsprecher zum Trommelfell. Bei der klassischen Variante muss der Schall weiter „reisen“ bevor er an dein Trommelfell gelangt. Die Reise durch den Plastikschlauch verfälscht das Signal zudem noch. Daher ist die Anpassung des Hörgerätes an den Hörverlust hier schwieriger und der Schall kann durch Knicke und Biegen des Schlauchs nach der Anpassung verschlechtert werden. Bei Ex-Hörer-Bauformen, ist der Lautsprecher sehr nach am Trommelfell, was den Vorteil hat dass der Schall relativ unverfälscht dort ankommt.
  • Nötige Lautstärke. Bei Ex-Hörer-Geräten muss man das Gerät nicht ganz so laut einstellen, weil ja wenig Schall auf dem kurzen Weg verloren gehen kann. Das führt auch zu geringfügig geringerem Stromverbrauch.
  • Reinigung. Nachteil von Ex-Hörern ist, dass sie schwieriger zu reinigen sind als ein Plastikschlauch.
  • Hautirritation. Ex-Hörer-Geräte nehmen im Gehörgang ein mehr Platz weg, was die Haut im Gehörgang irritieren und zu Druckstellen führen kann.
  • Kabelbruch. Das Kabel bei Ex-Hörer-Geräten, welches den Hörer mit dem Rest des Hörgerätes verbindet kann schon einmal brechen und muss dann ersetzt werden.

Vorteile von Hinterm-Ohr-GERÄTEN

  • Für alle Hörverluste. Weil hinter dem Ohr mehr Platz ist als im Ohr, kann man hier leistungsstärkere Lautsprecher verbauen. Man kann die Geräte also damit lauter einstellen und deshalb eignen sie sich für alle Hörverluste von leicht bis sehr stark.
  • Bessere Signalverarbeitung. Man kann nicht nur leistungsstärkere Lautsprecher, sondern auch leistungsstärkere Computerchips einbauen. Damit kann man bessere und mehr Algorithmen für die Signalverarbeitung verwenden und somit besser den Schall umwandeln und an deinen Hörverlust und die jeweilige akustische Situation anpassen.
  • Drahtlose Verbindungsmöglichkeiten. Weil mehr Platz da ist, kann man mehr Antennen für drahtlose Verbindungsmöglichkeiten zu Accessoires und anderen Geräten (Mobiltelefone, Fernseher, etc.) verbauen. Das führt zu einem Angebot an Geräten die z.B. Bluetooth oder andere Funkverbindungen aufbauen können. (Ich werde in diese Möglichkeiten genauer in einem späteren Artikel eingehen.)
  • Kabelgebundene Verbindungsmöglichkeiten. Wer kein Fan von drahtlosen Verbindungsmöglichkeiten ist, der kann mit kleinen Adaptern („Schuhen“) am Hörgerät sogar Kabel anschließen und mit anderen Geräten (z.B. FM-Empfaengern) verbinden.
  • Mehr Strom. Man kann grössere Batterien oder Akkus verbauen und muss daher weniger oft die Batterien wechseln oder die Geräte aufladen.
  • Ein glücklicher Gehörgang. Da der Teil des Gerätes der im Gehörgang sitzt, relativ klein ist, ist die Gefahr für Druckstellen und Hautirritationen gering.

Nachteile von Hinterm-Ohr-GERÄTEN

  • Sichtbarkeit. Bei Hinter-dem-Ohr-Geräten befindet sich der grösste Teil des Gerätes hinter dem Ohr. Dadurch ist er natürlich sichtbarer als In-Ohr-Geräte.
  • Platz hinterm Ohr. Auch wenn die meisten modernen Geräte sehr klein sind, so nehmen sie doch noch ein wenig Platz hinterm Ohr weg. Das kann schon einmal etwas eng werden, wenn man zusätzlich noch eine Brille oder eine Kopfbedeckung (Mütze, Fahrradhelm) tragen möchte.

Sichtbarkeit

Da mir das Thema Sichtbarkeit oder Unsichtbarkeit von Hörgeräten sehr am Herzen liegt, hier nochmal ein kurzer Kommentar dazu. Aus persönlicher Erfahrung muss ich sagen, dass es kaum ein Nachteil ist, dass man Hinterm-Ohr-Geräte mehr sieht als Im-Ohr-Geräte.

Zum einen sind die Geräte mittlerweile so klein, dass man sie hinter dem Ohr auch kaum sieht. Zum anderen sind sie – sofern du Haare auf dem Kopf hast – oft von Haaren bedeckt. Vor allem aber ist es so, dass die meisten Leute gar nicht so gut hingucken als dass sie ihnen auffällt. Und selbst wenn, ist das wirklich ein Problem? Ich finde sogar, dass es besser ist, wenn man Hörgeräte ein wenig sieht, weil die Leute die sie sehen, dann besser Rücksicht in Gesprächen nehmen können (z.B. nicht weiter sprechen wenn gerade die Tram vorm Fenster vorbeifährt) als wenn sie nichts von deinem Hörverlust wissen.

Ich appelliere daher an dich dir nochmal genau zu überlegen ob Unsichtbarkeit wirklich so ein wichtiges Kriterium ist.

Zusammenfassung: Welche Bauform ist denn jetzt besser?

Diese Frage kann man so pauschal nicht beantworten. Aus diesem Grund habe ich die Vor- und Nachteile von allen Varianten ausgeführt, denn nur so kannst du eine informierte Entscheidung treffen. Welches Hörgerät am besten passt, das hängt von vielen Faktoren ab:

  • wie schwer dein Hörverlust ist,
  • wie viel Leistung du von dem Gerät brauchst oder gerne hättest (sowohl was Lautstärke als auch die Signalverarbeitung angeht),
  • welche und wie viele Verbindungsmöglichkeiten zu anderen Geräten du möchtest,
  • wie viel Platz in deinem Gehörgang ist,
  • wie leicht die Haut in deinem Gehörgang irritiert ist, und
  • wie wichtig dir die (Un-)Sichtbarkeit der Geräte ist.

Letztendlich kann dir also keiner die Entscheidung abnehmen. Ich empfehle dir möglichst viele Varianten zu testen und dich dann zu entscheiden. Wenn dir dein Akustiker die ein oder andere Variante gar nicht erst anbietet, zögere nicht nachzufragen und dir erklären zu lassen warum er das nicht tut.

Ich persönlich bin bei Hinter-dem-Ohr-Geräten gelandet, weil ich leistungsmässig immer „Luft nach oben“ haben wollte (und brauchte) und meine Hörgeräte mit anderen technischen Geräten (Mobiltelefon, Laptop, Fernsehe etc.) verbinden können möchte. Ich habe sowohl Ex-Hörer als auch die klassische Variante gehabt, und bin momentan mit meinen Ex-Hörer-Geräten sehr glücklich, aber die vorherigen waren auch okay.

Ich hoffe dir hilft dieser Artikel bei der Auswahl und wünsche dir dass du mit deiner Wahl am Ende zufrieden bist.

7 Gedanken zu „Bauformen von Hörgeräten

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  2. Batterie. Die Geraete mit Akku die ich kenne haben maximal 20h Laufzeit, aber das nur wenn man kein Streaming (mit Bluetooth etc.) macht. Dann ist die Laufzeit auch mal schnell nur 14h oder so und dann ist der Tag sehr frueh vorbei. Ausserdem kann man die Akkus nicht austauschen, d.h. wenn er einmal leer ist muss man „Pause“ machen und wer kann sich das schon leisten. Dazu wird es spaeter auch noch einen extra Artikel geben. Liebe Gruesse!

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