Künstliche Intelligenz in Hörgeräten

Wie smart sind Hörgeräte wirklich?

Seit Herbst 2021 schreibe ich als freie Autorin für die Audio Infos. Dieser Artikel ist ursprünglich in der Audio Infos Ausgabe Dezember 2022 erschienen. Audio Infos ist die Fachzeitschrift für Akustiker*innen, https://www.audio-infos.de/.

Als ich im Oktober über die EUHA schlenderte, wurde ich an meine Studienzeit erinnert. Ich habe Informatik studiert und hier unter anderem die künstliche Intelligenz (KI). Dieses Schlagwort las ich auf vielen Marketingmaterialien der Aussteller. Nahezu jeder Hersteller sprach von KI und Hörsystemen, die “lernen” oder “smart” sind.

Die Grundlagen von KI wurden schon in den 1990ern entwickelt. Viele der Algorithmen von damals sind heute noch im Einsatz. Es ist ein Thema, das in “Wellen” immer mal wieder aufflammt, so auch in diesen Tagen. Ausgelöst werden solche Wellen immer durch Weiterentwicklung der Computing-Power. Das heißt, immer wenn signifikant schnellere oder mehr Prozessoren zur Verfügung stehen, können interessantere Probleme mit KI gelöst werden. Die Computing-Power ist so gut geworden, dass wir maschinelles Lernen nun auch auf komplexe Signalverarbeitungsprobleme anwenden können. Damit wird das ganze interessant für die Hörsystem-Industrie.

Der ressourcenhungrige Teil der KI ist das maschinelle Lernen. Algorithmen des maschinellen Lernens werden nicht (nur) von einem Programmierer programmiert. Dem Algorithmus wird eine große Menge an Trainingsdaten mit „Lösung“ gegeben, in denen er Muster lernt. Zum Beispiel kann man einem solchen Algorithmus Audiosignale von Sprache bzw. Musik mit entsprechender Klassifizierung geben. Nach der Trainingsphase kann er bei einem neuen Audiosignal erkennen, ob es ein Sprachsignal oder Musik ist. 

Hier muss man zwei Ansätze unterscheiden: 1) Offline-Learning: Der Algorithmus wird während der Entwicklung auf allgemeinen Datensätzen trainiert. Nur das Ergebnis, ein sogenanntes Modell, wird auf die Hörsysteme gespielt. Auf den Hörsystemen aller Nutzer ist dann das gleiche Modell und das wird sich (von Updates durch den Hersteller abgesehen) nicht mehr ändern.

2) Online-Learning: Das Modell wird auf dem Hörsystem weiter trainiert und hat somit das Potential dafür, dass die Geräte beim Tragen intelligenter werden und sich individuell an den Benutzer anpassen. Letzteres halte ich eher für Zukunftsmusik, denn auch wenn sich die Computing-Power der letzten Jahre vergrößert hat, ist sie auf Hörgeräten selbst zu begrenzt, um solche Algorithmen laufen zu lassen. Wenn überhaupt, dann müssten sie auf einem Mobiltelefon oder besser noch in der Cloud ausgeführt werden. 

Als Besucherin der EUHA war ich neugierig, wie viel maschinelles Lernen wirklich in den Hörsystemen steckt. So habe ich einen kleinen Rundgang zum Thema KI gemacht und viele Hersteller gefragt, wie intelligent ihre Geräte wirklich sind. 

Starkey und Oticon gaben an, dass maschinelles Lernen in ihrer Entwicklung angewandt wird, zum Beispiel um akustische Situationen zu erkennen. Dabei immer die Offline-Variante, wo das fertig trainierte Modell ausgeliefert wird und sich danach nicht mehr verändert. Das deckt sich mit meinen Erwartungen und ich bin ein wenig froh, dass meine Hörgeräte (noch?) keine Terminator-Ambitionen haben.

Signia gab die Antwort, dass die Intelligenz vor allem im Assistenten in der App steckt. Es stellte sich heraus, dass sie damit eine Art Chatbot meinen, mit dem man schreiben kann, um die Parameter der Hörgeräte leicht anzupassen. Das sah vom Funktionsumfang in der Demo ähnlich aus wie Hörgeräte-Apps, wo ich die gleichen Parameter mit ein paar Reglern selbst einstellen kann. Ein Chatbot ist auch mit maschinellem Lernen trainiert, aber er hat wenig mit den akustisch komplexen Situationen zu tun, die mir da vorschwebten.

Der einzige Hersteller, von dem man vermuten kann, dass er in Richtung Online-Learning geht, ist Widex. Das Problem beim Online-Learning ist, dass der Algorithmus, wenn er weiter lernen soll, auch kontinuierlich Feedback braucht, um zu wissen, ob er sich gerade in die richtige Richtung entwickelt. Dieses Feedback können zum Beispiel Eingaben vom Benutzer sein. Im Falle von Widex wird die Trägerin des Systems gelegentlich von der App gebeten, zwischen zwei Parameter-Einstellungen für die aktuelle akustische Situation zu wählen. Diese Antworten können in den Algorithmus gefüttert werden. Meine Vermutung ist, dass diese Abfragen nur sehr wenig Datenpunkte ergeben, denn man kann ja die Hörsystemnutzer nicht alle 5 Minuten damit behelligen. Daher wäre ich neugierig, ob und wie viel sich damit das Modell über die Zeit verändert.

Am Ende meines Rundganges erhielt ich von einem hier nicht näher genannten Hersteller eine erfrischend ehrliche Antwort auf meine Frage. Man verriet mir geradeheraus, dass in ihren Systemen keine KI steckt. Sie würden das nur im Marketing verwenden, weil das gerade so ein Hype ist. Sie müssten da mitziehen, weil gerade alle in der Branche von KI reden. 

Mein Fazit zum Thema ist, dass maschinelles Lernen mancherorts schon sinnvoll genutzt wird. Ich bin neugierig auf weitere Fortschritte in diesem Bereich. Ich würde mir allerdings wünschen, dass wir bis dahin warten und den Begriff in der Zwischenzeit nicht zum Marketing-Buzzword verkommen lassen.

Zur EUHA durfte ich mit freundlicher Unterstützung von den Audio Infos reisen und als Kolumnistin und Endkundin die Branche erkunden. Mehr Infos zu dem Monatsmagazin gibt es unter http://www.audio-infos.de oder dem Instagram-Account audioinfosde@.

8 Gedanken zu „Künstliche Intelligenz in Hörgeräten

  1. Wer ist denn bitte der Hersteller, der mit Künstlicher Intelligenz wirbt und gar keine hat? Sowas muss man doch publik machen?

    Was ist mit den anderen großen Namen, die mit KI werben, z.B. Phonak?

    • Liebe Marion,

      ich habe tatsächlich auch eine Weile drüber nachgedacht, wie ich das handhabe. Ich habe die Aussage leider nicht „auf Band“ und den Namen des Mitarbeiters nicht aufgeschrieben, kann es also schlecht beweisen. Daher möchte ich mich hier ungern zu weit aus dem Fenster lehnen.

      Es kommen nicht alle grossen Namen im Artikel vor, denn ich hatte leider nicht genug Zeit wirklich mit allen über dieses Thema zu sprechen.

      Was das Thema KI angeht, so möchte ich hier vor allem aufzeigen, dass es zu einem Marketing-Buzzword verkommen ist und dass man als Kunde – nicht nur bei Hörgeräten – immer kritisch sein sollte, was einem da verkauft wird.

      Schöne Grüße,
      Helga

Schreibe einen Kommentar zu Oliver Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.