Sprachnachrichten, die Nemesis der Schwerhörigen

Wie du deine Nachrichten für Schwerhörige zugänglich gestalten kannst

Technologischer Fortschritt ist für uns schwerhörige Menschen oder auch Menschen mit Behinderungen im allgemeinen meistens wünschenswert. Viele Behinderungen durch die Gesellschaft werden verringert, indem sich die Technologie weiter entwickelt. Als Beispiele fallen mir hier ein: Fortschritte in der Medizintechnik, Protesentechnik, maschinell generierte Untertitel, und auch die Entwicklung von Hörgeräten und Cochlea Implantaten. Auch wenn die Entwicklung nicht direkt mit Behinderungen zu tun hat, so sind auch allgemeine Entwicklungen wie das Internet oder das Mobiltelefon für viele von uns ein Gewinn in unserem Leben.

Gelegentlich werden allerdings Sachen entwickelt und von unseren Mitmenschen vermehrt genutzt, die für uns Schwerhörige einen Rückschritt bedeuten. Mein Lieblingsbeispiel hier ist die Sprachnachricht. Sprachnachrichten sind Audioschnipsel, die der oder die Sendende mit seinem oder ihrem Mobiltelefon aufgenommen hat und dann über einen Kurznachrichtendienst wie Whatsapp versendet. Warum ist das ein Problem für Schwerhörige?

Schwerhörige sind meistens keine Fans davon zu telefonieren. So begrüßen wir es, dass seit der Entwicklung und Verbreitung von Smartphones die meisten Menschen viel weniger telefonieren, sondern die anderen Möglichkeiten der Kommunikation über ein Smartphone nutzen. Mit Smartphones kann man eben noch so viel mehr als nur zu telefonieren: über Messengerdienste Textnachrichten, Fotos oder Videos schicken, Videotelefonate führen und Emails versenden. Auf einmal ist Telefonieren nicht mehr die einzig Art zeitnah Informationen auszutauschen. Damit waren wir Schwerhörigen nicht mehr darauf angewiesen ein Tonsignal zu entziffern. Wir konnten nun vielmehr textbasiert oder mindestens visuell orientiert kommunizieren.

Die Nachteile von Sprachnachrichten

Doch dann wurde die Sprachnachricht erfunden. Sprachnachrichten katapultieren mich und andere Schwerhörige wieder in die Zeit in der es „nur“ Telefon gab. Was sind die Nachteile von Sprachnachrichten für uns?

  1. Sprachnachrichten sind wie Telefonie eben nur ein Audiosignal. Damit fehlt uns Schwerhörigen die visuelle Information, die wir bei einem Gespräch von Angesicht zu Angesicht haben: Gestik, Mimik, Lippen zum absehen und vielleicht noch Zusatzinformation, z.B. wo die Person sich gerade befindet oder ob sie etwas in der Hand hält und zeigt.
  2. Sprachnachrichten sind weitaus mehr Daten als ein getippter Text. Das heißt, um Bandbreite zu sparen, ist das Audiosignal meistens komprimiert. Das passiert zu Lasten der Qualität, genauso wie beim guten (oder eben nicht so guten) alten Telefonsignal.
  3. Sprachnachrichten sind keine guten Aufnahmen. Im Gegensatz zu professionell produzierten Radiosendungen oder Podcasts, sind Sprachnachrichten nicht mit guter Ausrüstung und technischem Talent aufgenommen. Sprachnachrichten werden von den meisten Leuten da wo sie gerade sind einfach in das mittelmäßige Mikrophon ihres Handys reingesprochen, ohne Rücksicht darauf, ob da vielleicht nicht sogar noch störende Hintergrundgeräusche zu hören sind.
  4. Außerdem, und das ist sogar schlimmer als beim normalen Telefonieren, hat man bei Sprachnachrichten nicht einmal die direkte Möglichkeit zu unterbrechen und nachzufragen, wenn man etwas nicht verstanden hat. Sprachnachrichten sind quasi aufgezeichnete Monologe ohne Möglichkeit der Interaktion.

Wie Schwerhörige Sprachnachrichten konsumieren

Naja, denken nun viele hörende Menschen, so schlimm kann es schon nicht sein. Ich möchte hier ein wenig skizzieren, was es für mich bedeutet eine Sprachnachricht zu bekommen. Ein kleines Beispiel:

  • Ich sitze in der Ubahn auf dem Heimweg nach der Arbeit. Zwischen den Stationen rattert und rüttelt es, an den Stationen sind die Geräusche der Türen, Ein- und Außteigenden und der Bahnhofsdurchsagen. Ich bekomme eine Sprachnachricht.
  • Ich will sie abspielen, aber stelle fest, daß mein Mobiltelefon noch nicht über Bluetooth mit meinen Hörgeräten gekoppelt war. Ich beginne den Kopplungsprozess. Bluetooth ist manchmal etwas hakelig, daher brauche ich zwei bis drei Versuche und mehrfahres Ein- und Ausschalten meiner Hörgeräte bis ich eine Verbindung hergestellt habe. Ohne Bluetooth hätte ich es gar nicht erst versuchen müssen, denn ich hätte keine Chance eine Sprachnachricht die aus einem Handylautsprecher quäkt, zu verstehen.
  • Mit Bluetooth aktiviert, spiele ich nun die Nachricht ab. Ich verstehe allerdings nur die Hälfte, denn der Umgebungslärm gelangt weiterhin (wenn auch weniger verstärkt) an mein Ohr. Ich höre die Nachricht zwei oder dreimal, in der Hoffnung doch noch mehr Sprachfetzen zu verstehen. Danach gebe ich auf und nehme mir vor, die Nachricht zu hören, wenn ich zuhause bin in einem ruhigen Zimmer ohne Hintergrundgeräusche.
  • Zwanzig Minuten später komme ich Zuhause an. Und wenn ich dann nicht sowieso vergessen habe, dann muß ich jetzt nochmal Zeit darauf verwenden, obwohl ich vermutlich schon weitaus mehr Aufwand in das Abhören dieser Nachricht investiert habe, als es irgendein hörender Menschn tun muß.

In der Realität sieht es so aus, dass ich Sprachnachrichten meistens gar nicht mehr abhöre, sondern direkt eine kurze Text-Nachricht zurückschreibe, daß diese Art der Kommunikation für mich nicht barrierefrei ist.

Wie kann man Sprachnachrichten barrierefrei gestalten

Nehmen wir an, du hast bis hier hin gelesen und verstanden, dass Sprachnachrichten für Schwerhörige nicht gut funktionieren. Was kannst du hier besser machen? Hier meine Tipps, von „sehr gut“ bis „naja, wenn’s absolut sein muß“.

  1. Sehr gut: Sprachnachrichten sein lassen. Lass das mit den Sprachnachrichten ganz sein und schreib stattdessen einfach wieder Textnachrichten. Damit sind alle oben erwähnten Nachteile verschwunden. Wir Schwerhörige werden dir dannch 100% folgen können und du läufst nicht Gefahr daß wir etwas missverstehen.
    Nicht nur für Schwerhörige, finde ich das auch noch aus folgendem Grund die bessere Wahl. Menschen scheinen bei Sprachnachrichten weitaus unstrukturierter und ausschweifender zu labern, als wie sie das in Textform tun würden. Da die meisten Menschen das Tippen von Texten als mühseliger empfinden, haben sie einen Anreiz sich kurz zu fassen. Das führt dazu, daß sie sich vorher auch besser überlegen, was sie alles sagen wollen. Damit sind die meisten Textnachrichten besser durchdacht und prägnanter formuliert als ein spontaner Sprachnachrichten-Monolog. Denn bei Sprachnachrichten wird leider selten die alte Funkerweisheit beachtet „(Erst) Denken. (Dann) Drücken. (Dann) Sprechen.“ beachtet. Wenn ihr also Texte tippt, statt Nachrichten zu sprechen, so nehmt ihr die Mehrarbeit als Sendende oder Sendender auf euch und wertschätzt zugleich die Zeit und die Energie die die Empfangenden aufwenden müssen um euch zu verstehen.
  2. Gut: Speech to Text. Wenn ihr aber nun partout nicht tippen wollt (oder könnt), und lieber in eurer Handy reinsprecht, dann nutzt doch bitte die „Speech to Text“ Funktion, die die meisten Mobiltelefonbetriebssysteme mittlerweile anbieten. Hier sprecht ihr dann auch in euer Handy, aber eure Sprache wird von einer maschinell unterstützten Texterkennung in Text umgewandelt, den ihr dann als Textnachricht schicken könnt. Bevor ihr sie allerdings abschickt, solltet ihr sie nochmal durchlesen und korrigieren. Maschinelle Texterkennung ist nämlich nie 100% korrekt und wenn ihr das nicht nachkorrigiert, ist eure Nachricht meist nicht verständlicher für uns als eine Sprachnachricht. So generell ist es übrigens ein guter Kontrollmechanismus, denn wenn eure Tonqualität und/oder Aussprache so schlecht sind, dass die Spracherkennung sie nicht versteht, dann hätten wir euch vermutlich auch nicht verstanden. Und ja, wenn man seine Nachrichten dann nochmal korrigieren muss, dann liegt die Mehrarbeit der Nachricht wieder bei dir, dem Sender oder der Senderin, und ihr wertschätzt damit die Zeit und Energie der Empfangenden.
  3. Naja: Sprachnachrichten mit Transkription. Wenn ihr schon Sprachnachrichten sendet, dann nutzt wenigstens eine Möglichkeit, wo diese automatisch untertitelt wird. Das kommt aber mit den gleichen Nachteilen wie die vorherige Option, nämlich dass maschinelle Spracherkennung leider Fehler dabei macht. Und da diese hier auf dem Gerät der oder des Empfangenden passiert, bist du als Sender leider nicht mehr da um die Fehler zu korrigieren. Auch ist diese Funktion soweit ich weiss noch in keinem Nachrichtendienst fest eingebaut. Man kann es unter Android z.B. simulieren, in dem man mit dem „Recorder“ eine Nachricht aufnimmt und diese über einen Nachrichtendienst teil. Unter Android werden diese Aufnahmen dann gleich mit Untertiteln angezeigt.
  4. Meh: Automatische Untertitel auf dem Empfaenger-Telefon. Dies ist eine Möglichkeit für die empfangenden deiner Nachricht und nicht fuer dich als Sender. Es gibt mittlerweile die Möglichkeit, automatische Untertitel für alles was auf dem Handy passiert, anzumachen. Damit kann man sich also auch beliebige Sprachnachrichten untertiteln lassen. Bei Pixel-Telefonen bis einschließlich Pixel 5, ist diese Funktion aber leider bisher nur auf Englisch möglich. Erst ab Pixel 6, kann man als Sprache auch Deutsch auswählen. So oder so ist das hier auch nicht meine liebste Option, weil hier auch wieder der Aufwand der Kommunikation auf der oder dem schwerhörigen Empfänger oder Empfängerin lastet.

Was, wenn man nicht tippen kann?

Es gibt Situationen, da ist es uns nicht möglich, Nachrichten zu tippen. Das kann auch aufgrund einer Behinderung sein. Vor ein paar Jahren habe ich mir mal das Handgelenk angebrochen und musste ein paar Wochen eine Plastikschiene tragen. Damit war das Tippen mit der linken Hand nur schmerzhaft möglich. In dieser Zeit, habe ich selbst auch mehr „Speech to Text“ genutzt.

Wenn mir Menschen Sprachnachrichten schicken, die aufgrund von Behinderungen nicht tippen können, so bin ich gerne bereit, Aufwand zu betreiben um sie zu verstehen. Wenn eure „Behinderungen“ allerdings selbst gewählt sind, wie z.B. „Ich hatte Kind/Hund/Einkaufstasche auf dem Arm.“, dann würde ich euch doch bitten, die Nachricht dann zu tippen, wenn ihr die Hände wieder frei habt. Ein wenig Umstand für euch ist eine Notwendigkeit für uns Schwerhörige. Und wenn es dir wichtig ist, dass ich dich deine schwerhörigen Mitmenschen verstehen, dann hoffe ich doch, dass es dir wert ist, fünf Minuten deine Einkaufstasche abzustellen.

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