Das gefährliche Nass

Was Wasserdichtigkeit von Hörgeräten wirklich bedeutet

Seit Herbst 2021 schreibe ich als freie Autorin für die Audio Infos. Dieser Artikel ist ursprünglich in der Audio Infos Ausgabe September 2022 unter dem gleichen Titel erschienen (daher das spät-sommerliche Thema). Audio Infos ist die Fachzeitschrift für Akustiker*innen, https://www.audio-infos.de/.

Dieser Tage neigt sich der Sommer dem Ende entgegen. Der ein oder andere von uns wird ihn an Badeseen und in Freibädern verbracht haben. Das bringt mich zum Thema: was macht man eigentlich als Hörgeräteträger an diesen feuchten Orten?

Hörgeräte sind in Sachen Wasserdichtigkeit weit gekommen. War vor ein paar Jahrzehnten kaum daran zu denken, dass Hörgeräte den Kontakt mit Wasser überlebten, sind viele heutzutage IP67 zertifiziert, manche sogar IP68. IP68 bedeutet, dass das Gerät 30 Minuten lang 1,5 Meter unter Wasser übersteht. Das klingt sehr technisch. 

Obwohl ich mit Zahlen gut kann, finde ich es als Nutzer schwer einzuordnen, was das denn nun im Alltag bedeutet. Heisst es, ich kann damit schwimmen gehen, nur keinen Sprung vom 3-Meter-Brett machen, weil ich ja tiefer als 1,5m eintauchen würde? Oder ginge das doch, denn ich würde keine 30 Minuten unter Wasser bleiben? Was ist, wenn ich eine Stunde lang Bahnen schwimme und mein Kopf immer nur kurz unter der Wasseroberfläche ist, dafür aber sehr oft? Decken diese Parameter einen ordentlichen Regenguss bei einem Open-Air-Konzert ab?

Das Thema Wasser löst bei mir sehr unangenehme Erinnerungen zum Thema Teilhabe aus. Kurz nach meinem Berufseinstieg wollte mein damaliger Chef unserem Team etwas tolles bieten. Er organisierte einen Team-Ausflug mit einer spassigen Aktivität: es sollte in die Alpen zum Rafting gehen.

Ich musste natürlich sofort an meine Hörgeräte denken. Obwohl sie IP67 zertifiziert waren, hatte ich viel zu viel Angst um sie, um sie beim Rafting zu tragen. Ich erklärte das meinem Team und stieß dabei auf Unverständnis. “Kannst du die Hörgeräte nicht ausziehen?” Natürlich kann ich meine Hörgeräte ausziehen, aber was dann? Dann kann ich nicht kommunizieren! 

Und das nicht nur während ich im Boot auf dem Wasser bin, sondern auch davor und danach. Mir wurde schmerzhaft klar, dass kein Mensch, der nicht selbst betroffen ist, soweit denkt. Team-Ausflüge werden doch mit dem Ziel veranstaltet, dass man Beziehungen aufbaut. Und der Zweck von spannenden Aktivitäten bei sowas ist, dass man sich als Gruppe näher kommt, wenn man zusammen etwas spannendes erlebt, z.B. in einem Gummiboot einen Fluss hinunter stürzt. Und wann findet das Bonding im Team bei so etwas statt? Natürlich nicht nur während des Paddelns, sondern auch kurz davor und vor allem kurz danach: wenn man pitschnass aus dem Boot steigt, sich abklatscht und nochmal Revue passieren lässt, wie toll man den Fluss doch gemeistert hat. 

Bei all dem hätte ich ohne Hörgeräte nicht teilhaben können. Dennoch musste ich erst darauf hinweisen, dass ich natürlich meine Hörgeräte dann in der Hütte lassen müsste in der wir uns umziehen und dann den ganzen weg zum Fluss und zurück mich nicht unterhalten könnte. Dazu kommt noch, dass Rafting auch nicht ganz ungefährlich ist und durchaus Unfälle passieren. Und wer möchte schon gerne in einer Notfallsituation nicht in der Lage sein zu kommunizieren?

Nach langer Diskussion sah mein Chef das auch ein. Kurzerhand wurde das Rafting abgesagt und eine Aktivität für den Ausflug gewählt, an der alle teilhaben konnten – auch die Helga mit den doofen Ohren. Das ganze Team musste wegen mir eine stinknormale Wanderung machen. Man kann sich vielleicht vorstellen, wie gut das meiner Beziehung mit meinem Team getan hat.

Wenn man sich über Wasserdichtigkeit von Hörgeräten in der Branche umhört, so heisst es oft, dass Hörgeräte doch mittlerweile wasserdicht genug sind. “Kein Mensch braucht Hörgeräte beim Tauchen, da hören ja auch die Hörenden nicht mehr viel.” Ich stimme zu, dass ich beim Tauchen nicht mehr hören muss als andere, aber darum geht es hier nicht. Was ich möchte, ist, dass ich keine Angst haben muss, danach nicht mehr hören zu können. Denn diese Angst haben die wenigsten hörenden Menschen beim Tauchen. 

Es geht bei Wasserdichtigkeit also nicht darum unter Wasser zu hören, sondern um die Gefahr seine Hörfähigkeit temporär oder sogar bis zur nächsten Versorgung zu verlieren. Das ist eine reale Gefahr für Menschen mit Hörgeräten. Wenn meine Geräte kaputt gehen und ich nicht innerhalb von ein paar Stunden gleichwertigen Ersatz bekomme, bin ich nicht oder nur eingeschränkt arbeitsfähig. Und wenn ich mir die saftige Zuzahlung vor Ablauf der 6 Jahre nicht noch einmal leisten kann, dann ist das eine Existenz bedrohende Angst und nicht die Frage ob ich gerne unter Wasser die Fische blubbern höre. Diese Angst wird meiner Meinung nach oft verharmlost, wenn man den Stimmen der Branche so glaubt. 

Als Kunde brauche ich keine technischen Angaben in Minuten und Tiefenmetern. Was ich brauche ist eine Garantie, welche Aktivitäten ich mit Hörgeräten nah oder im Wasser machen kann, ohne dass diese Schaden nehmen. Und sollten sie doch Schaden nehmen, so bräuchte ich die Garantie, dass mein Gehör überall auf der Welt auch am nächsten Tag wieder hergestellt wird. Und solange mir die mein Akustiker nicht geben kann, werde ich mein Team zu langweiligen Wanderungen zwingen müssen.

2 Gedanken zu „Das gefährliche Nass

  1. Hallo Helga,

    ich habe momentan ein anderes Problem mit Hörgeräten im Wasser. Ich mache nämlich Reha-Sport im Wasser und bin somit nicht mehr Kommunikationsfähig, denn natürlich gebe ich dir Recht, da habe ich Angst um meine Hörgeräte. Also schaue ich mir alles ab, was die Trainerin so macht, was mich ziemlich blamiert hin und wieder, denn natürlich setze ich nicht alles schnell genug um, da ich die Kommandos ja nicht höre, dafür aber die unbewussten Bewegungen der Trainerin, also auch rückwärtsgerichtete Bewegungen. Ich bin halt bei vielen Sachen einfach raus und es bedarf schon eines gehörigen Selbstbewusstseins, wenn es einem nicht peinlich ist, alles so gut zu machen, wie die Hörenden um mich herum. Zum Glück habe ich das, doch ich verstehe gut, dass sich viele nicht ins Wasser trauen.

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