Du sollst hören

Ende September lief im ZDF ein Film übers Hören: „Du sollst hören“. Er kann noch bis nächstes Jahr hier in der Mediathek geguckt werden. Ob es sich lohnt, oder nicht, erfährst du in diesem Artikel.

Der Film beruht auf einem wahren Gerichtsfall. In der Hauptrolle ist eine geht es um eine gehörlose Familie, die eine Nachricht über ihre jüngste Tochter erhält. Im Gegensatz zu ihrem größeren Bruder ist ihr Hörnerv ausgebildet. Das bedeutet, dass es möglich wäre, ihr ein Cochlea Implantat zu implantieren.

Cochlea Implantate (CI) sind Geräte, mit denen man unter Umständen wieder hören kann. Es sind aber keine normalen Hörgeräte, denn im Gegensatz zu diesen, wird ein Teil des Cochlea Implantates in den Kopf implantiert. Ein zweiter Teil, der Sound Processor, wird von außen mit einem Magnet an den Kopf platziert. Mehr zum Thema Cochlea Implantate im Vergleich zu Hörgeräten erfährst du in meinem Artikel Hörgeräte und Cochlea Implantate.

Cochlea Implantate sind besonders unter Gehörlosen umstritten und darum geht es auch in diesem Film. Die gehörlosen Eltern möchten nicht, dass ihre Tochter ein solches Implantat bekommt. Die hörende Tante des Kindes ist allerdings hocherfreut über diese Möglichkeit. Zum Problem für die Familie wird das allerdings, als der behandelnde Arzt vor Gericht zieht, weil er das Kindeswohl der Tochter in Gefahr sieht. Seiner Meinung nach nehmen die gehörlosen Eltern dem Kind eine Möglichkeit ein „normales“ Leben zu führen – was auch immer das heißt.

Die meiste Zeit des Films geht es um die Richterin des Gerichtsverfahrens, die sich als hörende erstmal in das Thema einarbeitet. Dabei informiert sie sich auf vielerlei Weise. Sie besucht die Familie, recherchiert im Internet, spricht mit anderen CI Trägern und auch Gehörlosen die kein CI tragen. Hier beleuchtet der Film das Thema CI meiner Meinung nach sehr ausführlich und ausgewogen. Es werden nicht nur die Vorteile erklärt, sondern auch die Nachteile von CIs besprochen. Und es kommt eben auch die Sicht der Gehörlosen zum Tragen, die sich primär mit Gebärdensprache verständigen.

Ich fand hierbei besonders gut, das das CI nicht per se als Allheilmittel dargestellt wurde. Es ist bei weitem nicht so, das ein CI jedem implantierten hilft. Nach der Implantation des CIs kommt ein langer Weg für den implantierten, denn er oder sie muss durch langes Training (wieder) hören lernen, denn Hören mit dem CI ist ein Hören über elektrische Impulse und damit anders als das Hören mit einem gesunden Ohr. Es ist also mit einer OP an sich nicht getan. Auch wenn viele implantierte mit CIs gut zurecht kommen, gibt es eben auch viele bei denen es nicht so ist. Auch mit CI bleibt man oft schwerhörig bzw. „behindert“.

Und beim Thema Behinderung stellt der Film meiner Meinung nach gut das medizinische Modell von Behinderung der sozialen Definition von Behinderung gegenüber. Während der Arzt das ganze aus der Sicht der Medizin und aus der Sicht eines hörenden Menschen sieht, sehen die Eltern das eher aus der sozialen und kulturellen Sicht. Insbesondere sagt die Mutter, dass an ihr und ihrer Tochter nichts kaputt ist. Gezeigt werden auch Gehörlose die eben betonen, dass man nicht behindert ist, sondern von der Gesellschaft behindert wird, weil diese Barrieren nicht abbaut, z.B. der Mangel an Gebärdensprachendolmetschern.

Ein Teil des Films handelt von persönlichen Geschichte der Richterin in dem Gerichtsverfahren, die zwar nichts mit gehörlos ist, aber durchaus mit dem Thema Behinderung in ihrem Leben konfrontiert wurde. Ich persönlich hätte hier gerne weniger persönliches Drama gehabt, aber das Drama hatte immerhin ein wenig Zusammenhang zum Thema des Filmes.

Das Gerichtsverfahren stellt also eine ethisch sehr schwierige Frage. Wird dem Kind die Möglichkeit einer (leichteren) Integration in die hörende Gesellschaft genommen, wenn es kein Implantat bekommt? Ist Gehörlosigkeit überhaupt eine Behinderung? Und wenn es eine Behinderung ist, ist ein Leben mit Behinderung automatisch unglücklich? Ist das Kindswohl gefährdet, nur weil das Kind nicht hören kann, aber von einer liebevollen Familie aufgezogen wird, deren Sprache die Gebärdensprache ist?

Der Film schließt mit dem Gerichtsurteil, welchem die Richterin ein paar persönliche Worte anschließt. Ihre Worte bringen das ethische Dilemma auf den Punkt, aber sind auch ein Plädoyer für die Vielfältigkeit und ein gelungener Abschluss dieses Films.

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