Stimmen im Kopf

Seit Herbst 2021 schreibe ich als freie Autorin für die Audio Infos. Dieser Artikel ist ursprünglich in der Audio Infos Ausgabe Juni 2022 unter dem gleichen Titel erschienen. Audio Infos ist die Fachzeitschrift für Akustiker*innen, https://www.audio-infos.de/.

Neulich ging ich auf Reisen. Ich stieg ein in den ICE, setzte mich auf meinen Platz, packte meinen Laptop aus, und fing an zu arbeiten. Nach einigen Minuten war ich in Gedanken versunken und tippte fleißig. Auf einmal hörte ich wie jemand zu mir sagte “Tschuldigung? Könnte ich Sie kurz sprechen?”

Ich schaute zu meiner Sitznachbarin. “Ja?” Sie blickte irritiert von ihrer Zeitung auf. “Was ist los?” Ich, jetzt auch irritiert: “Haben Sie mich nicht gerade angesprochen?” “Nein.” antwortete sie, stirnrunzelnd. “Hab’ mich wohl vertan, sorry.” Verlegen senkte ich meinen Blick. Sie wendete sich ihrer Zeitung zu. 

Ein paar Minuten später hörte ich deutlich “Hallo? Ich rede mit Ihnen!”. Ich schielte ich zu meiner Nachbarin, die immer noch Zeitung las. Dann reckte ich meinen Hals und schaute mich um. Vor mir am Vierer-Tisch eine Familie in eine Partie Uno vertieft. Hinter mir ein Geschäftsmann in seinen Laptop und ein Teenager in sein Tablet versunken. Keiner sah so aus als hätten sie mich angesprochen. Irritiert wandte ich mich wieder um. Ich hatte wieder die Aufmerksamkeit meiner Sitznachbarin. Sie fragte, was denn los sei. Ich: “Haben Sie das auch gehört?” “Was gehört?” “Jemand hat gesagt ‘Hallo? Ich rede mit Ihnen!’” “Nein. Sicher, dass Ihnen gut geht?”, fragte sie besorgt. Ich beteuerte ihr dass es mir gut ginge und versuchte mich nun wieder meiner Arbeit zu widmen. 

Es gelang mir nicht, mich zu konzentrieren. Es irritierte mich sehr, dass ich anscheinend Dinge hörte, die meine Umgebung nicht hört. Stimmen in meinem Kopf! Ich kenne zu viele Horrorfilme, wo der Protagonist langsam verrückt wird und so fing es an.

Nach ein paar Minuten hörte ich wieder etwas. “Ist ja, gut, was wollen Sie von mir?” und dann weiter “Meine Name ist Justus Jonas, von den drei Detektiven …”. Auf einmal ging mir auf, woher die Stimmen kamen. 

Als ich nach meinem Einstieg meinen Laptop aufgeklappt hatte, hatte er eine Bluetooth-Verbindung zu meinen Hörgeräten aufgebaut. Das ging automatisch, weil ich ihn regelmäßig mit meinen Hörgeräten benutze. Diesmal hatte es anscheinend etwas länger gedauert, typisch Bluetooth. Vom letzten mal lief noch ein Hörspiel. Sobald die Verbindung da war, spielte es weiter. Die Pausen zwischen den Sätzen kamen daher, dass mein alternder Laptop manchmal überfordert ist, was das Hörspiel zum ruckeln gebracht hatte. 

Ich war Opfer meiner Technik geworden, und zwar gleichzeitig wegen ihrer Vorteile (automatisches Verbinden zum Hörgerät) und ihrer Tücken (hakeliges Bluetooth, überforderter Laptop). Erleichtert darüber, dass ich nicht verrückt werde, kicherte ich vor mich hin. Meine Sitznachbarin schaute mich ein letztes Mal irritiert an, bevor sie sich einen anderen Platz suchte.

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