Der Cocktailparty-Effekt

Heute beschäftigen wir uns mit dem Cocktailparty-Effekt und warum dieser für uns Schwerhörige und unsere Hörgeräte so eine Herausforderung darstellt. Was ist der Cocktailparty-Effekt und was macht ihn so herausfordernd?

Was ist der Cocktailparty-Effekt?

Der Cocktailparty-Effekt beschreibt die akustisch am schwierigsten zu meisternde Situation: Sprache zu verstehen wenn im Hintergrund auch gesprochen wird. Das kann im wahrsten Sinne des Wortes auf einer Cocktailparty sein, aber ähnliche Effekte hast du auch in jeder Situation wo du mit Menschen reden möchtest, wenn im Hintergrund noch ganz viele andere Menschen sprechen. Das beschreibt also auch einen Besuch in einem vollen Café oder Restaurant.

Warum ist es so schwierig in einer solchen Situation Gesprächen zu folgen?

Das Grundproblem hier ist, dass in diesem Fall die Geräusche im Vordergrund wie im Hintergrund der gleichen Form sind: es sind Stimmen von Menschen. Im Vordergrund ist es dein Gesprächspartner, also den den du wirklich verstehen willst. Im Hintergrund sind es all die anderen Menschen die auch sprechen, aber deren Gesprächen du gar nicht folgen möchtest und sie daher ausblenden möchtest. Das schwierige ist also dass unsere Ohren und Hörgeräte hier sehr ähnliche Dinge (beides mal menschliche Sprache) von einander unterscheiden müssen.

Das ist eine akustisch herausfordernde Aufgabe. Es wäre zum Beispiel einfacher Gespräch von Musik oder einem technischen Surren einer Klimaanlage im Hintergrund zu unterscheiden. Die Tatsache dass Vorder- und Hintergrundgeräusche die gleiche Art Geräusche sind macht es sowohl für unsere Ohren als auch für unsere Hörgeräte schwierig.

Wie unterscheiden wir Hintergrund- und Vordergrundgeräusche?

Wenn wir mit unseren Augen verschiedene Dinge wahrnehmen die mehr im Vordergrund oder mehr im Hintergrund sind, so tun wir das über verschiedene Merkmale dieser Objekte, z.B. wie groß oder wie scharf sie uns erscheinen. Deinen Gesprächspartner, der gleich vor dir sitzt, siehst du groß und scharf. Die Menschen im Restaurant an den anderen Tischen siehst du etwas kleiner und wenn sie weit weg sind immer unschärfer. In etwa so:

5 blaue Männchen, von innen nach aussen weniger scharf und kleiner werdend
So nimmt unser Auge Menschen in unterschiedlichen Entfernungen wahr

Unser Ohr macht es genauso, es nutzt Merkmale des Audiosignals der Leute um zu unterscheiden ob es sich um die Geräusche aus dem Vordergrund (unserem Gesprächspartner) oder aus dem Hintergrund (den anderen Restaurant-Besuchern) handelt. Dieses Merkmal sind vor allem welche Frequenzen zu deinem Ohr dringen oder nicht.

Ein Geräusch, also auch die menschliche Sprache, deckt verschiedene Frequenzen ab. Der Einfachheit halber sagen wir mal tiefe, mittlere und hohe Frequenzen. Physikalisch gesehen sind Töne Vibrationen, also Wellen in der Luft. Sie sind ähnlich wie Wellen auf der Wasseroberfläche in einem Teich wenn man einen Stein hinein wirft. Tiefe Töne entsprechen großen, langsamen Wellen und hohe Töne kleinen, schnellen Wellen. Nun ist es so, dass die tiefen Töne viel weiter tragen als die hohen. Wenn man das mit dem Teich vergleicht, so haben die großen, langsamen Wellen eine weitere Tragweite als die kleinen, schnellen, die sehr schnell wieder abebben. Das heißt also, dass wir tiefe Töne auch von Ferne hören, aber die hohen nur wenn die Quelle nahe bei uns ist. Das ist z.B. der Grund warum wir die Bässe der Musik auf der Party unseres Nachbarn wummern hören, aber nicht wenn jemand auf der Party die Sektgläser klingen lässt.

Verschiedene Frequenzen (Sektgläser = hoch, Bässe von Musik = tief) reichen unterschiedlich weit zum Zuhörer
Tragweite verschiedener Frequenzen

Um auf unsere Cocktailparty zurück zu kommen, bedeutet das, dass von unserem Gesprächspartner, welcher nah vor uns sitzt, alle Frequenzen bei uns ankommen: die tiefen, die mittleren und die hohen. Von den Leuten die um uns rumsitzen, kommen schon weniger bei uns an. Bei den näheren vielleicht noch die mittleren und die tiefen Frequenzen und bei denen am anderen Ende des Raumes nur noch die tiefen. Wenn wir das schematisch darstellen, so nimmt unser Ohr die Stimmen im Raum so wahr:

5 Personen, die aeusseren zwei sind komplett blau, die beiden inneren rot und blau und die zentrale Figur ist blau, rot und gelb
Unser Ohr nimmt je nach Entfernung die Stimme in verschiedenen Frequenzen wahr

Warum ist diese Situation für Schwerhörige so schwierig?

Soweit so gut. Warum ist das ganze nun für uns Schwerhörige nicht so einfach zu meistern? Die Antwort ist: weil uns manche Frequenzen fehlen. Bei Altersschwerhörigkeit, aber auch bei vielen anderen Formen des Hörverlustes sind es vor allem die mittleren bis hohen Frequenzen die wir nicht mehr wahrnehmen. Und wenn das so ist, dann kriegen wir das Hauptunterscheidungsmerkmal von Vorder- und Hintergrundgeräuschen nicht mehr mit. Bezogen auf das Bild zuvor, hören wir also nur noch die tiefen Frequenzen und auf einmal wird aus der Gruppe der bunten Menschen aus dem Bild oben das hier:

5 gleiche blaue Männchen
Mit hochfrequentem Hörverlust klingen alle Leute – ob nah ob fern – gleich

Viele Leute klingen also gleich, ob sie nun nah dran sind oder nicht. Und das ist einfach verdammt schwer für ein schwerhöriges Ohr auseinander zu halten.

Warum ist das sogar für Hörgeräte schwierig?

Viele Menschen glauben, dass mit Hörgeräten alles wieder so ist wie als hörender Mensch. Leider ist dem nicht so. Die Cocktailparty Situation ist auch für Menschen mit Hörgeräten schwierig – wenn auch einfacher als ohne. Warum ist das so?

Hörgeräte bilden in erster Linie den Bereich der Frequenzen den wir Schwerhörige nicht mehr wahrnehmen, weil er zu leise ist, in den Bereich den wir wahrnehmen können ab. Das heißt z.B. wenn wir eine Frequenz von 1kHz erst ab 50dB hören, dass dann ein Ton von 30dB auf z.B. 55dB angehoben wird. Soweit so gut. Das heißt also dass wir die hohen Töne unseres Gesprächspartners etwas verstärken und sie dann wieder bei uns ankommen. Warum reicht das nicht um das Problem zu lösen?

Das Problem hier ist dass alles was dass Hörgeraet verstärkt in einen kleineren Gesamtbereich abgebildet wird. Im Detail habe ich das schon im Artikel zur Unbehaglichkeitsschwelle erklärt. In dem obigen Bespiel verstärken die Hörgeräte alle was unser 50dB ist auf den Bereich von 50dB bis 100dB. Von 50dB bis 100dB ist es aber eine viel kleinere Spannbreite als von 0 bis 100dB (welche Normalhörende haben). Das heißt auf einmal sind 100% der Geräusche in dieser Frequenz auf 50% des Platzes zusammen gequetscht. Das heißt also viele Geräusche die vorher weiter auseinander waren sind nun näher zusammen gerückt. Und damit ist es für unser Ohr und unser Gehirn doch wiederum nicht so leicht sie auseinander zu halten und jede Nuance zu verstehen. Es ist also auf der Cocktailparty besser Hörgeräte zu tragen als keine, aber man sollte nicht denken dass sie das Problem 100%ig lösen.

Was tun moderne Hörgeräte noch um die Situation zu verbessern?

Was ich oben beschrieben habe, ist natürlich nur eine sehr einfache Darstellung der Funktionsweise eines Hörgerätes in der Situation. In Wirklichkeit machen moderne Hörgeräte noch viel mehr um die Situation auf andere Weise zu verbessern:

Richtungshören: Dadurch dass fast alle Hörgeräte zwei Mikrophone pro Gerät, also bei beidseitigem Hörverlust vier Mikrophone haben, können sie lokalisieren von wo ein Geräusch kommt, z.B. von vorne, von der Seite oder von hinten. Da man normalerweise relativ frontal vor seinem Gesprächspartner steht, fokussieren Hörgeräte in lauten Umgebungen nach vorne und regeln die Geräusche von der Seite und von hinten herunter. Je nach Hörgerät kannst du sogar mit einer App oder Fernbedienung einstellen wie spitz der Fokus nach vorne sein soll, also ob du nur eine Person, die direkt vor einem steht, hören willst oder vielleicht eine Gruppe von Personen die im Halbkreis vor dir steht.

Eine Gruppe Menschen und Hörgeräte die verschieden eng fokussieren
Hörgeräte können enger und weiter fokussieren

Hintergrundgeräusche: auch wenn Stimmen im Hintergrund das schwierigste ist, was Hörgeräte so rausrechnen müssen, so gibt es ja immer noch andere Geräusche im Hintergrund. Im Restaurant kann das z.B. Musik, Stühlerücken oder die laute Espressomaschine sein. Da solche Geräusche viel besser von Sprache zu unterscheiden sind, nehmen uns Hörgeräte schonmal viel Arbeit dadurch ab dass sie diese Sachen erkennen und dämpfen.

Impulsgeräusche: Dinge, die oft ein Gespräch stören, sind kurze aber laute Geräusche wie z.B. das Klirren von Besteck auf einem Teller, ein Türknallen oder ein spitzer Schrei eines Kindes. Das sind sogenannte Impulsgeräusche. Moderne Hörgeraete können diese auch gut vom Rest der Geräuschkulisse unterscheiden und sie dämpfen.

Was kann ich als Hörgeräteträger tun um eine Cocktailparty möglichst gut zu meistern?

Kenne dein Hörgerät: Du solltest wissen was dein Hörgerät so kann und wie man es unter Umständen einstellen muss um das beste Hören auf einer Cocktailparty zu haben. Dazu gehört zum Beispiel zu wissen ob dein Hörgerät ein separates Programm für Gespräche in lauten Umgebungen hat („Restaurant-Modus“) und wie du dieses Programm einschaltest und gegebenenfalls nachjustierst.

Teste dein Hörgerät: Wenn du ein neues Hörgerät kaufst und im Zuge dessen verschiedene Modelle testest, solltest du jedes davon in einer Cocktailparty-Situation testen. Cocktailparty-Situationen sind quasi die Königsdisziplin unter den Hörsituationen und wenn das Hörgerät das schafft, dann ist es ein gutes. Das bedeutet also dass du mit jedem Hörgerät welches du testest, mindestens einmal einen leckeren Kaffee oder ein Stück Kuchen in einem lauten Café ein nehmen solltest. Ich glaube es gibt schlimmeres als ein paar Wochen lang Kuchen essen zu müssen 😉

Suche den akustisch besten Platz aus: auch wenn man die besten Hörgeräte mit den besten Einstellungen hat, so wird es immer noch einen Unterschied machen wie du dich im Raum in Relation zu deinen Gesprächspartnern platzierst. Wenn ich z.B. einen Tisch in einem Restaurant reserviere, so frage ich oft direkt ob es einen Tisch in einer ruhigen Ecke gibt. Am Tisch setze ich mich dann in die Mitte so dass ich möglichst alle Leute im Blick habe (fürs Lippenlesen und die Mimik) und von allen mit denen ich reden möchte gleich weit weg bin. Auch setze ich mich so an den Tisch dass die Gruppe meiner Gesprächspartner vor mir sitzt und ich möglichst alle anderen im Restaurant im Rücken habe.

Zusammenfassung

In diesem Artikel hast du über den Cocktailparty-Effekt gelernt:

  • Der Cocktailparty-Effekt beschreibt eine besonders schwierige Hörsituation wo man einen oder mehrere Gesprächspartner im Vordergrund aus Hintergrundgesprächen raushören möchte.
  • Dass der Cocktailparty-Effekt für Schwerhörige besonders schwierig ist.
  • Das Hörgeräte einem eine Cocktailparty-Situation einfacher machen, sie aber meistens nicht ganz lösen können.
  • Dass Hörgeräte viele verschiedene Dinge tun um uns das Sprachverstehen unseres Gesprächspartners zu erleichtern.
  • Und dass auch du als schwerhöriger Mensch noch ein paar Dinge tun kannst, um dir selbst das Leben in so einer Situation zu erleichtern.

6 Gedanken zu „Der Cocktailparty-Effekt

  1. Pingback: Warum Hörgeräte miteinander reden | Doofe Ohren

  2. Pingback: Wie man Hörgeräte bekommt | Doofe Ohren

  3. Pingback: Wie testet man Hörgeräte richtig? | Doofe Ohren

  4. Pingback: Schwerhörigkeit in Bildern | Doofe Ohren

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.