Hörtest Teil 2: Die Unbehaglichkeitsschwelle

Dieses Mal geht es weiter damit was dein Arzt oder Akustiker bei einem Hörtest alles so misst. In Teil 1 haben wir uns mit dem Audiogramm an sich und der Hörschwelle beschäftigt. Nun kommt der nächste Teil: die Unbehaglichkeitsschwelle.

Was ist die Unbehaglichkeitsschwelle?

Nach dem Messen der Hörschwelle, noch während du den Druckknopf in der Hand hast, misst dein Arzt oder Akustiker noch eine zweite Schwelle, die auch als Linie ins Audiogramm eingezeichnet wird: die Unbehaglichkeitsschwelle. Diese sagt aus, ab welcher Lautstärke du den Ton als unangenehm empfindest. Während die Hörschwelle also den „untereren Rand“ deines Hörvermögens beschreibt, so beschreibt die Unbehaglichkeitsschwelle den oberen Rand (außer dass das beim Audiogramm genau anders rum eingezeichnet wird: die Hörschwelle ist oben und die Unbehaglichkeitsschwelle ist unten – intuitiv ist anders). Alles über der Unbehaglichkeitsschwelle ist für dich unerträglich und damit nicht im Bereich des komfortablen Hörens.

Wie misst dein Arzt oder Akustiker deine Unbehaglichkeitsschwelle?

Wenn bei dir die Unbehaglichkeitsschwelle gemessen wird, dann passiert das wie folgt. Dein Arzt oder Akustiker spielt wie beim Messen der Hörschwelle nacheinander Töne ab. Diesmal beginnt er aber mit einer Lautstärke die du gut hören kannst. Welche das ist weiß er ja vom Messen der Hörschwelle zuvor. Dann macht er den Ton immer lauter, so lange bis du es unerträglich findest. In dem Moment solltest du dann möglichst schnell den Druckknopf drücken oder dich sonst wie bemerkbar machen. Dein Arzt oder Akustiker wird dann sofort den Ton abschalten und einen Punkt in dein Audiogramm eintragen. Im Gegensatz zum Messen der Hörschwelle ist das Messen der Unbehaglichkeitsschwelle unangenehmer, weil man die nicht findet ohne zumindest kurze Zeit sehr laute Töne ertragen zu müssen. Es scheint aber immer noch die günstigste und einigermaßen zuverlässige Möglichkeit zu sein, die Unbehaglichkeitsschwelle zu messen.

Wie sieht eine Unbehaglichkeitsschwelle aus?

Da Bilder mehr als 1000 Worte sagen, schauen wir uns doch einfach nochmal mein Audiogramm an. Hier ist meine Unbehaglichkeitsschwelle als die jeweils untere Kurve eingetragen.

Ein Audiogramm
Mein Audiogramm – ein typisches fuer altersbedingten Hochtonhoerverlust

Normalhörende Menschen haben eine Unbehaglichkeitsschwelle die ungefähr gleich für alle Frequenzen ist, also eine einigermaßen gerade Linie bildet. Sie liegt ca. zwischen 90dB und 110dB. Menschen mit einem Hörverlust haben interessanterweise eher niedrigere Werte als Normalhörende. Dabei ist die geläufige Annahme dass wenn man nicht gut hört, einen laute Geräusche weniger stören. Dem ist aber nicht so. Im Gegenteil. Wir Schwerhörige haben oft das Phänomen, dass auf den Frequenzen die wir nicht gut hören, wir zusätzlich auch noch empfindlicher sind was die Lautstärke angeht. Das heißt also, dass der Lautstärkebereich der für uns angenehm ist, sowohl nach unten als auch nach oben hin begrenzter ist als bei normalhörenden Menschen. Eine andere Beschreibung dafür ist, dass die Dynamik eingeschränkt ist.

Eine Anmerkung noch zur Form der Unbehaglichkeitsschwelle: wie man in meinem Audiogramm sieht, sind bei der Unbehaglichkeitsschwelle weniger Frequenzen gemessen worden als bei der Hörschwelle. Das ist recht üblich, weil es oft für die Zwecke ausreicht und man uns Patienten nicht unnötig quälen möchte.

Warum will mein Arzt die Unbehaglichkeitsschwelle messen?

Es ist eine berechtigte Frage, warum man das Menschen überhaupt antut, diese Schwelle zu messen. Wofür ist das gut? Es gibt mehrere Gründe.

Fuer deinen Arzt ist die Unbehaglichkeitsschwelle eine Möglichkeit deinen Hörverlust zu charakterisieren. Je nach Art des Hörverlustes kann man verschiedenartig geformte Hörschwellen sehen, aber genauso auch verschieden geformte Unbehaglichkeitsschwellen erkennen. Das ist für den Arzt ein Hinweis, was genau bei deinem Gehör nicht in Ordnung ist.

Warum will mein Akustiker die Unbehaglichkeitsschwelle messen?

Nun ist es nicht genug damit, dass dich dein Arzt damit gequält hat. Dein Akustiker macht das ganze nochmal mit dir, meistens sogar ausführlicher. Warum?

Für deinen Akustiker hat die Schwelle noch sehr viel praktischere Bedeutung, denn er braucht diese Information wenn er deine Hörgeräte einstellt. Wenn man sich vorher nicht mit Hörgeräten beschäftigt hat, dann hat man eine recht naive Vorstellung davon wie ein Hörgerät funktioniert: es nimmt Töne über die Mikrophone auf, verstärkt sie so viel dass der Schwerhörige sie hören kann, und pustet das durch die Lautsprecher ins Ohr. Grundsätzlich ist das auch keine verkehrte Vorstellung, mit der Einschränkung, dass man genau nicht beliebig jeden Ton eins zu eins verstärken kann, weil das sonst für den Hörgeräte-Träger wegen der Unbehaglichkeitsschwelle unangenehm wird.

Der Akustiker muss also dass Problem lösen möglichst viele Töne die du nicht hörst, in deinen hörbaren Bereich zu verschieben, aber gleichzeitig darf er nichts in den unangenehmen Bereich verschieben. Oder als Zahlenbeispiel:

  • Nehmen wir an fuer die Frequenz 2kHz nimmst du Töne erst ab 50dB wahr. Ab 80dB werden sie aber schon wieder unangenehm.
  • Das heißt, dein Akustiker muss dein Hörgerät so einstellen, dass der ganze Bereich an Tönen von 0dB bis 80dB auf den kleinen Bereich zwischen 50dB und 80dB abgebildet wird.
  • Ein Ton bei 40db, den du ohne Hörgeräte nicht hören würdest, muss dann z.B. um 15dB verstärkt werden, damit du ihn bei 55dB wahrnimmst. Aber ein Ton bei 75dB darf nicht um 15dB verstärkt werden, weil er sonst mit 90dB in dein Ohr gepustet wird und das über deiner Unbehaglichkeitsschwelle liegt und damit unangenehm wird.
Links sieht man eine Linie von 0dB bis 120dB, welche das Lautstaerkespektrum des gesamten Eingangsbereich beschreibt. Rechts sieht man den gleichen Bereich, eingeschraenkt auf 50dD bis 80dB. Das ist der angenehm hoerbeare Bereich auf den das Hoergeraete das Eingangssignal abbilden muss.
Die Abbildung vom Eingangssignal auf den angenehm hörbaren Bereich.

Hörgeräte die auf deinen entsprechenden Dynamikbereich eingestellt sind, setzen also genau diese Abbildung vom ganzen Lautstärkespektrum auf den fuer dich angenehmen und hörbaren Bereich um. Das ging früher mit analogen Hörgeräten nur bedingt, aber dank der Digitalisierung können moderne Hörgeräte das. Grob funktioniert das so, dass das Hörgeraet den Ton aufnimmt, dessen Lautstärke bestimmt, dann entscheidet ob und wieviel ein Ton in dieser Tonlage und Lautstärke verstärkt werden muss, und das dann auch tut. Es ist also ein wenig komplizierter als „alles einfach nur lauter machen“. Diese Entscheidungen können heutige Mikroprozessoren die in Hörgeräten verbaut sind super schnell, so dass du es als Hörgeräteträger gar nicht mitkriegst.

Ein Problem mit dem eingeschränkten Dynamikbereich ist allerdings, dass er auch sehr guten modernen Hörgeräten Grenzen setzt. Je kleiner der Bereich wird, desto schwieriger wird es diese Abbildung umzusetzen. Und selbst wenn das Hörgerät es schafft, heißt das nicht, dass man unbedingt mehr versteht. Wenn das Hörgerät die Töne in einen kleinen Bereich abbildet, so schiebt es sie quasi näher zusammen. Das heißt, dass Töne die vorher gut voneinander unterscheidbar waren, es nicht mehr unbedingt sind. Das führt dazu, dass man viele Dinge vielleicht schlechter hört, weil sie sich zum Beispiel mehr mit Hintergrundgeräuschen vermischen. Aus dem Grund machen moderne Hörgeräte noch viele andere Dinge, auf die ich in späteren Artikeln genauer eingehen werde.

Sind Töne über der Unbehaglichkeitsschwelle schlimm?

Die Antwort auf diese Frage hat zwei Teile.

  • Zum einen heißt die Unbehaglichkeitsschwelle aus gutem Grund so. Sie macht dir ein unangenehmes Gefühl. Solltest du also oft und lange Tönen ausgesetzt sein (mit oder ohne Hörgerät), die über dieser Schwelle liegen, so wird dir das nicht gut tun. Wer möchte schon lange etwas tun was ihm unbehaglich ist. Wenn Hörgeräte zu laut eingestellt sind und du damit oft ein unangenehmes Gefühl hast, dann bist du vermutlich auch weniger gewillt sie zu tragen. Und wenn Hörgeräte in der Schublade liegen, nützen sie keinem.
  • Neben dem Gefühl, ist es aber auch einfach nicht gesund. Oft und lange lauten Tönen ausgesetzt zu sein, kann dein Gehör weiter schädigen. Deshalb solltest du das das vermeiden, weil du sonst in eine Spirale gerätst: laute Geräusche schädigen dein Gehör, du hörst weniger, du stellst die Lautstärke höher und damit schädigst du dein Gehör noch mehr …

Was kann man als Hörgeräteträger tun wenn sich Dinge oft unangenehm laut anhören?

Wenn du Hörgeräte hast, aber oft das Gefühl hast, dass Töne zu laut sind, dann hast du folgende Möglichkeiten:

  • Wenn an deinem Hörgerät ein Lautstärkeregler ist oder du eine Fernbedienung oder Handy-App für deine Hörgeräte hast, so stelle die Lautstärke dort herunter. Eigentlich sollte das Hörgerät allerdings so eingestellt sein, dass es auch in der für dich am lautesten einstellbaren Lautstarke nicht unangenehm ist. Sollte das nicht der Fall sein, dann solltest du langfristig den nächsten Punkt beachten.
  • Suche deinen Akustiker auf und bitte Ihn, die Einstellungen dines Hörgerätes anzupassen. Eventuell sollte er sogar nochmal eine Messung deiner Unbehaglichkeitsschwelle machen, damit er ein aktuelles Bild davon hat, was du als unangenehm empfindest.

Bedenke übrigens dass die Unbehaglichkeitsschwelle durchaus auch tagesformabhängig sein kann. Ihr kennt das vielleicht wenn ihr abends feiern wart und am nächsten Morgen die Mitbewohner bitte nicht so laut reden sollten, weil dich das nervt. Das ist normal, das hat nichts mit deinem Gehör zu tun. 😉

Zusammenfassung

  • Die Unbehaglichlichkeitsschwelle ist die Grenze ab der dir Töne unangenehm laut erscheinen.
  • Bei Schwerhörigen ist die Unbehaglichkeitsschwelle oft nach unten verschoben. Sie hören nicht nur schwerer, sondern sind gleichzeitig auch empfindlicher gegenüber lauten Lautstärken.
  • Beim Einstellen von Hörgeräten wird der unhörbare Bereich in den hörbaeren Bereich verstärkt ohne so laut zu verstärken, dass die Unbehaglichkeitsschwelle überschritten wird.
  • Wenn sich die Welt mit deinen Hörgeräten oft unangenehm laut anhört, solltest du sie noch einmal anpassen lassen.

5 Gedanken zu „Hörtest Teil 2: Die Unbehaglichkeitsschwelle

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