Schwerhörig in Corona-Zeiten

Ursprünglich hatte ich mal eine Serie zum Thema „Probleme die Hörende nicht haben“ zu machen. Das war aber eigentlich für sehr viel später geplant. Aus aktuellem Anlass habe ich mich aber entschieden diese Folge vorzuschießen solange das Thema noch relevant ist.

Corona trifft uns Menschen auf viele verschiedene Weisen. Aus Sicht eines schwerhörigen Menschen kommen oft Schwierigkeiten hinzu, über die Hörende noch nie nachdenken mussten. Das heißt nicht, dass wir es besonders schwer haben, aber diese Dinge können schon ganz schön nerven. Ich möchte in diesem Artikel ein paar dieser Schwierigkeiten aufzeigen und auf mögliche Lösungen hinweisen.

Vorweg möchte ich anmerken, dass ich mir bewusst bin, dass manch anderer Mensch noch viel grössere Probleme dieser Tage hat. Auch sollte uns bewusst sein, dass wir sehr privilegiert sind, wenn unser grösstes Problem dieser Tage ist dass sich unsere Hörgeräte in unseren Masken verheddern. Vor allem sollten wir nicht aufhören Masken zu tragen, auch Hörgeräte sind da keine Ausrede, denn alles andere kostet Menschenleben.

Die Maske, der natürliche Feind des Hörgerätes

Masken zu tragen gehört mittlerweile zu unserem Alltag. Leider kommt das mit einer besonderen Schwierigkeit für Hörgeräteträger. Die Schlaufen von Masken, die hinter die Ohren kommen, verheddern sich nur zu gern mit den Schläuchen oder Kabeln von Hinter-dem-Ohr-Hörgeräten (siehe Bauformen von Hörgeräten). Für mich heißt das oft beim Betreten meiner Wohnung erstmal Hörgeräte, Maske, Brillenbügel und Haare auseinander zu klamüsern.

Beim Abnehmen einer Maske, verheddert sich das Hörgerät in der Schlaufe.
Wer kennt das nicht? Da will man seine Maske abnehmen und – schwupps – verabschiedet sich das Hörgerät gleich mit.

Verheddern an sich nervt schon, aber existenzbedrohend kann es werden, wenn sich das Hörgerät damit ganz aus dem Ohr verabschiedet und mit Schwung durch das Gummiband der Maske irgendwo ins Nirvana verschwindet. Das ist ein gar nicht so seltener Fall, so dass sogar Fundbüros und Akustiker gehäufte Meldungen von verlorenen Hörgeräten durch Masken wahrnehmen. (Beispiele aus den Medien hier und hier.) Wenn man sein Hörgerät verliert, bekommt man zwar ein neues, aber muss zum einen den ganzen Tanz von HNO-Arzt zu Akustiker nochmal machen und vor allem wieder einen großen finanziellen Anteil selbst leisten, denn die gesetzliche Krankenkasse bezahlt leider nur einen lachhaft kleinen Anteil an einem modernen Hörgerät. Schlimmstenfalls kann so ein Verlust also dazu führen, dass man mindestens ein paar Tage nicht arbeiten kann bis die Neuanschaffung des Hörgerätes geregelt ist und dann hat man unter Umständen noch eine ziemlich großes Minus auf dem Konto.

Maskenhalter als Retter

Sowohl Hörgeräteträger als auch die Hörgeräte-Industrie sind hier schon erfinderisch geworden. Der Trick ist, die Schlaufen der Maske möglichst weit vom Ohr weg zu kriegen. Ich persönlich fand es am wirksamsten mir eine Maske zu kaufen, die hinterm Kopf mit ein paar Bändeln zusammengebunden wurde. Wie auf dieser Zeichnung:

Eine Maske die hinterm Kopf mit Bändern festgehalten wird
Benutzt man so eine Maske, die durch Bänder hinterm Kopf festgehalten wird, so kann man das obere Band weit nach oben ziehen um die Berührung mit den Hörgerätenn zu vermeiden

Dabei führt normalerweise aber das obere Bändel auch über das Ohr und damit besteht auch die Gefahr der Verhedderung mit dem Hörgerät. Ich habe das meistens so gelöst dass ich das Band weiter hoch gezogen habe, so dass es mir mehr oder weniger um den oberen Hinterkopf ging. Das sieht zwar deppert aus, aber kann man super unter einer Wintermütze verstecken.

Anscheinend hat allerdings auch die ein oder andere Akustiker-Kette diese Marktlücke entdeckt. Mein ehemaliger Akustiker schickte mir sogar einen vorweihnachtlichen Brief, indem ich eingeladen wurde einen Maskenhalter in der Filiale abzuholen. Diese Halter funktionieren wie auf dieser Zeichnung:

Maske mit Maskenschlaufenhalter
Maske mit Maskenschlaufenhalter

Allerdings muss man auch hier das obere Band vom Ohr wegkriegen. Die Lösung meines Akustikers war beide Bänder unter dem Ohr in den Nacken zu führen. Wie das genau aussieht, könnt ihr euch auf diesem Video anschauen. Ich selbst habe das noch nicht ausprobiert, aber ich vermute dass damit die Maske mehr auf die Nase drückt. Wenn jemand von euch damit Erfahrung hat, würde ich mich freuen wenn ihr die Kommentarfunktion nutzt und euer Fazit mit mir und der Welt teilt (oder schreibt mir auch einfach eine Email).

Im-Ohr-Geräte als LÖSUNG?

Neulich wurde ich gefragt, ob nicht eine Lösung des Problemes (auch des nächsten, siehe „Zug auf dem Ohr“) wäre statt Hinter-dem-Ohr-Geräten Im-Ohr-Geräte zu kaufen. Meine Antwort hier ist ein klares „Nein!“. Im-Ohr-Geräte kommen mit einer Menge Nachteilen und sind fast immer nur die Lösung für sehr leichten Hörverlust und wenn man keinerlei Verbindungsmöglichkeiten zu anderen Geräten (z.B. zum Mobiltelefon) haben möchte. Ich persönlich würde niemals meine Hinter-dem-Ohr-Geräte durch Im-Ohr-Geräte ersetzen, denn die Nachteile sind weit schlimmer als das Verheddern mit der Maske. Diese habe ich in einem früheren Artikel Bauformen von Hörgeräten ausführlich beschrieben.

Zug auf dem Ohr

Auch wenn ich das obige Problem auch habe, so habe ich bislang zum Glück meine Hörgeräte nicht verloren. Allerdings hatte ich in der Anfangszeit von Corona ein anderes durch Masken ausgelöstes Problem: eine Ohrenentzündung.

Das Problem hier ist, dass die Maskenschlaufen die um die Ohren gehen einen leichten Druck auf das Ohr nach vorne ausüben. Dabei wird der Gehörgang ein klein wenig „enger“ gedrückt als normal. Das hat bei mir ausgereicht um einen grösseren Druck von Gehörgang auf mein Ohrstück (siehe Artikel über Ohrstücke) auszuüben. Das ganze resultiert dann in einer schmerzhaften Reizung der Haut, die dazu führen kann, dass man schlimmstenfalls eine eitrige Entzündung bekommt, Medikamente nehmen muss und seine Hörgeräte tagelang nicht tragen kann.

Maskenschlaufen üben Zug auf das Ohr aus
Maskenschlaufen üben Zug auf das Ohr aus

Hier helfen tatsächlich einfach Maskenhalter zu tragen, die die Schlaufen hinter den Ohren weiter nach hinten ziehen. Der im Bild oben „Maske mit Maskenschlaufenhalter“ würde es hier tun. Ich selbst habe mir aus Haushaltsmaterialien einen selber gebastelt:

Ein selbst gebastelter Maskenschlaufenhalter aus Büroklammern und einem Haushaltsgummi
Ein selbst gebastelter Maskenschlaufenhalter aus Büroklammern und einem Haushaltsgummi

Das fummel ich mir dann täglich zwischen die Maskenschlaufen und seither tun mir meine Ohren nicht mehr weh. Das ganze hat allerdings den Nachteil dass es sich auch gerne in den Haaren verfängt. Aber irgendwas ist ja immer.

Lippenlesen und Masken

Das dritte Problem von Schwerhörigen in der Corona-Zeit ist, dass Masken den Mund verdecken und damit Lippenlesen unmöglich machen. Ich persönlich lese auch von den Lippen als zusätzlicher Kanal ab und ich merke ständig wie mir der Mangel dessen das Verständnis meiner Mitmenschen schwieriger macht. Dieses Problem hatte ich schon vor Corona immer wenn ich zum Zahnarzt musste, aber jetzt ist es ständig präsent.

Auch hier haben sich Mitmenschen schon viele Gedanken gemacht. Es gibt allerlei Ansätze Masken mit Sichtfenstern zu bauen, so dass der Mund zu sehen ist.

Maske mit einem Sichtfenster aus Folie
Maske mit einem Sichtfenster aus Folie

Auch wenn ich diese Ansätze für grundsätzlich eine gute Idee halte, so habe ich in der Praxis leider noch niemanden getroffen der so eine hatte. Außerdem frage ich mich, ob das wirklich funktioniert und ob nicht nach 2 Minuten sprechen die Folie von innen beschlägt. Auch hier würde ich mich freuen wenn jemand unter meinen Lesern seine Erfahrungen teile möchte. Eine Quelle ist zum Beispiel dieser Shop.

Ein Problem des ganzen ist bei all diesen Lösungen aber vermutlich, dass du es kaum schaffen wirst, dass jeder mit dem du reden musst, so eine Maske trägt. Die sind natürlich alle nicht so günstig wie Papiermasken oder selbst genähte Stoffmasken. Ich vermute das ist eine Lösung für Leute in unserer Umgebung die wir oft sprechen und die gewillt sind für die Kommunikation mit uns etwas mehr auszugeben.

An dieser Stelle möchte ich auf zwei „Masken“ (Anführungsstriche bewusst gesetzt) hinweisen, die keine Lösung sind. Zum einen gibt es diese Mini-Plastik-Masken die mit einer Halterung am Kinn befestigt werden.

Pseudo-Maske am Kinn
Pseudo-Maske am Kinn

Diese Dinger sind allerdings wirkungslos was das Verhindern der Ausbreitung des Virus‘ angeht und man sollte daher jeden meiden der so etwas trägt. Sie erinnern nicht nur optisch an den Teil eines Güllewagens, der die Scheiße auf dem Feld verteilt, sondern sie fördern die Verbreitung des Virus‘ genauso. Also, Finger davon und meide ihre Träger.

Dann gibt es noch sogenannte Face-Shields, welche das ganze Gesicht mit einer Folie bedecken. Diese werden unter anderem von Krankenhauspersonal getragen. Aber, und das ist das große Aber, trägt man das im Krankenhaus nur in Kombination mit einer Maske. Denn das Face-Shield an sich hält den Virus genauso wenig von der Verbreitung ab wie das obige Kinn-Model. Es unterstützt nur das Krankenhauspersonal dabei sich vor Spritzinfektion von jemand anderem zu schützen.

Ein Mensch mit Face-Shield
Ein Mensch mit Face-Shield

Mit einem Face-Shield kommt man also nicht um die Maske rum und damit nützt das für uns Lippenlesende doch wieder nicht.

Eine Lösung für dieses Problem ist also noch nicht in Sicht. Meine momentane Strategie ist es Situationen, in denen jemand lange mit mir in einer Maske redet, zu vermeiden. Beim Zahnarzt hoffe ich immer dass sie mir nichts kompliziertes erklären bevor sie den Bohrer zücken. Am Supermarkt an der Kasse schiele ich auf das Display der Kasse wenn der Kassierer den Endbetrag sagt und versuche seine Worte wie „Paybackkarte?“ zu erraten. Gerade bin ich mir bewusst, was für ein Privileg es momentan ist in einem Beruf zu arbeiten wo man hauptsächlich Menschen virtuell und ohne Maske begegnen kann. Ich frage mich, wie andere hier ihren Alltag meistern und freue mich wenn ihr eure Erfahrungen und Lösungen hier teilt.

Der Verband junger Menschen mit Hörbehinderung e.V. hat diesbezüglich sogar eine Stellungnahme veröffentlicht. Eine gute Lösung hat er hier leider auch nicht, von temporären Lösungen wie „kurzzeitig mit Abstand die Maske abnehmen“ mal abgesehen.

Mittlerweile gibt es ein paar Ideen zumindest die Kommunikation des Problems offensichtlicher zu machen. So gibt es Masken oder Buttons für Masken die auf die Hörbehinderung des Trägers aufmerksam machen.

Was Masken an Sound verschlucken

Nicht nur das Lippenlesen verhindern Masken, sondern auch ganz einfach, dass das Sprachsignals unserer Gesprächspartner komplett bei uns ankommt. Der Lappen überm Mund verschluckt einfach den Sound. Man sollte es nicht meinen, aber hier ist die Forschung in der Audiologie sogar sehr auf Zack, denn genau das wurde schon untersucht.

Der Kongress der Europäischen Union Hörakustiker e.V. fand 2019 Corona-bedingt nur virtuell statt. Das hat den Vorteil, dass alle Vorträge als Video online sind und daher auch von uns die wir keine Akustiker sind angeschaut werden können. Unter anderem gab es einen Vortrag namens „The Speed of Innovation“ (zweiter von oben), welcher Untersuchungsergebnisse zum Thema Masken vorstellte.

So schlucken Masken vor allem die hohen Frequenzen, welcher dummerweise sehr wichtig sind für das Unterscheiden von Vorder- und Hintergrundgeräuschen. Die Differenz zum Sprechen ohne Maske beträgt ungefähr 5dB, die wir hier verlieren.

Ein Graph mit verschiedenen Messkurven für Sprachsignale ohne Maske und mit verschiedenen Masken. Die Kurve vieler Masken fällt in den hohen Frequenzen ca. 5db ab.
Ein Vergleich davon wie viel Sprachsignal durch eine Maske durchkommt. Die blaue Kurve ist das Signal ohne Maske und alle anderen sind Signal die durch verschiedene Masken aufgenommen wurden. Den kompletten Vortrag „Speed of Innovation“ findet ihr hier (zweiter von oben, leider nur auf Englisch und ohne Untertitel).

Die findigen Forscher haben dann auch gleich reagiert und eine Lösung gefunden. Man macht einfach ein Hörgeräte-Programm, welches diese Lücke von 5dB ausgleichen in dem alle betroffenen Frequenzen 5dB lauter gemacht werden. Nicht wirklich Rocket Science, aber anhand der Soundbeispiele im Video kann man hören, dass es durchaus hilft. Es wäre also eine Option für dich, dir von deinem Akustiker ein weiteres Programm einrichten zu lassen, welche diese Verstärkung anwendet.

Zusammenfassung

Wer schwerhörig ist, der ist in Corona-Zeiten mit allerlei Problemen beschäftigt:

  • Hörgeräte verheddern sich mit Masken oder verabschieden sich dabei schonmal komplett.
  • Masken zerren so an den Ohren, dass es zu schmerzhaften Entzündungen kommt.
  • Wer aufs Lippenlesen angewiesen ist, dem fehlt dieser Kanal wenn die Gesprächspartner Maske tragen.
  • Das Sprachsignal wird von Masken gedämpft. Abhilfe kann hier ein extra Programm im Hörgerät schaffen.

Es gibt ein paar Lösungsansätze wie Maskenhalter und Masken mit Sichtfenster, aber die perfekten Lösungen habe ich leider noch nicht gesehen. Schreibt mir von euren Erfahrungen! Bleibt gesund.

2 Gedanken zu „Schwerhörig in Corona-Zeiten

  1. Pingback: Ein Hoch auf Online-Konzerte | Doofe Ohren

  2. Ich mag deine Zeichnungen, Damals haben mir 2 Dinge geholfen, 1. Ein Maskenhalter der im Nacken oder am Hinterkopf hält und 2tens das Externe Mikrofon, das ich hinter Sperrscheiben legen konnte. Lg. Ralf

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