Viele Schwerhörige werden das kennen: jemand sagt einen Satz in dem wir das wichtigste Wort nicht verstehen. Wir bitten unseren Gesprächspartner den Satz zu wiederholen. Das tut er auch, meistens sogar lauter, aber wir verstehen das Wort und damit den Satz immer noch nicht. Warum ist das so? Was kann man als Gesprächspartner tun damit man doch verstanden wird?
Dies ist also ein Artikel, der sich ein wenig mehr an die Menschen in der Umgebung von Schwerhörigen richtet als an die Schwerhörigen selbst. Solltet ihr als Schwerhörige also oft das obige Problem haben, dann schickt ihn doch an ein paar Menschen aus eurer Umgebung weiter.
Mustererkennung statt Hören
Als Mensch mit Hörverlust – mit oder ohne Hörgeräte – sind wir es gewohnt, dass wir nicht jedes Wort verstehen. Oft bekommen wir z.B. nur die Vokale mit und müssen dann eine Art Lückentext-Rätsel lösen. Ich betone dass das auch passiert, wenn man gut mit modernen Hörgeräten versorgt ist, denn auch die sind nicht perfekt auf jede Situation ausgelegt.
Ein typisches Gespräch mit meinem Mann ist zum Beispiel folgendes:
Ich liege auf dem Sofa, blaettere in einer Zeitung rum.
Mein Mann fragt aus der Küche: „Willst du einen Kaffee?“
Was ich verstehe ist: „Willst du eine Waffel?“
Wirklich gehört habe ich also nur „Willst du einen –a–e–?“ Den Rest hat mein Gehirn zusammengeraten.
Da mein Mann in unserer Beziehung noch nie Waffeln gebacken hat, bin ich mir ziemlich sicher dass das nicht das ist was er wirklich gesagt hat. Ungläubig antworte ich „Waffeln?“ und bitte Ihn das nochmal zu wiederholen.
Er macht das, und zwar lauter, und sagt: „Willst du einen Kaffee?“
Und ich verstehe wieder nur „Willst du eine Waffel?“
Warum ist das so? Der Grund ist, dass unsere Sinneswahrnehmung ein Zusammenspiel aus vielen Mechanismen ist. Ganz naiv gehen wir davon aus, dass Hören bedeutet, dass unser Ohr jede einzelne Frequenz wahrnimmt und zu einem Wort zusammensetzt. Das stimmt aber nur bedingt. Was unser Körper wirklich tut ist, dass unser Ohr Frequenzen wahrnimmt, aber dann unser Gehirn eine ganze Maschinerie an Mustererkennung anschmeißt um die gehörten Laute auf ein bekanntes Wort abzubilden.
Das tun hörende Menschen genauso, nur nimmt deren Ohr mehr Frequenzen wahr und damit hat deren Gehirn eine bessere „Datenlage“ für die Mustererkennung. Wir Schwerhörigen, kriegen also weniger Material als Eingangsdaten und deshalb muss unser Gehirn da mehr arbeiten und sich mehr auf die Mustererkennung verlassen.
Warum unser Hören eine Mischung aus Signalverarbeitung und Musterereknnung ist, ist eine interessante Frage. Vermutlich sind wir so gebaut, weil das Verstehen von Sprache auf diese Weise viel schneller geht. Sprache enthält ja nur ein paar Tausend Wörter die wirklich oft vorkommen und da funktioniert das so eben effizienter.
Warum hilft es nicht, Dinge einfach nochmal zu sagen?
Das Problem mit der Mustererkennung ist, dass wenn sie einmal eine Lautfolge auf ein Wort abgebildet hat, dass sie sich nicht so leicht von diesem Wort abbringen lässt. Das heißt, wenn mein Mann den unverstandenen Satz einfach nochmal wiederholt, dass mein Gehirn ganz stur die Lautfolge wieder auf das gleiche Wort abbildet und ich somit immer noch nicht weiß wovon er redet.
Das gleiche passiert übrigens auch bei anderen Sinnen. Kennt ihr das Phänomen, dass man Gesichter auf Bildern sieht, wo überhaupt kein Mensch oder Tier abgebildet ist? Nehmen wir diese dänische Steckdose hier als Beispiel:
Wir Menschen sehen in diesem Bild sofort ein freundliches Gesicht. Obwohl gar kein Gesicht abgebildet ist. Das ist ein ähnlicher Mechanismus wie beim Hören. Unser Auge nimmt gar nicht wirklich jeden Pixel dieses Bildes auf, sondern nur genug bis unser Gehirn es analysiert hat. Da unser Gehirn besonders gut darin ist Gesichter zu erkennen, sehen wir oft mehr Gesichter als es wirklich gibt. Das ist vermutlich aus evolutionstechnischen Gründen so, denn es ist für uns Menschen wichtig unsere Feinde oder den Säbelzahntiger im Gestrüpp schnell zu erkennen.
Warum hilft es nicht, Dinge lauter zu sagen?
Okay, nun haben wir verstanden, dass unser Gehirn an dem gefundenen Wort „festhängt“, aber müsste es nicht helfen den Satz lauter zu wiederholen? Auf diese Weise würden ja mehr Frequenzen in einer Lautstärke an unser Ohr gelangen die wir auch als Schwerhörige wahrnehmen können.
Zu einem gewissen Grad stimmt das und hier und da hilft es auch Dinge lauter zu wiederholen. Allerdings oft auch nicht. Die Gründe dafür sind:
- Wenn man Dinge 1 zu 1 lauter wiederholt, ist die Form des Signals die das Ohr wahrnimmt immer noch gleich, nur ein wenig mehr detailliert. Unsere Mustererkennung orientiert sich aber an der Form und damit landet sie wieder schnell bei dem falsch verstandenen Wort.
- Das Audiosignal von Sprache befindet sich in einem bestimmen Frequenzbereich (ca. 500Hz bis 4KHz). Bei einer üblichen Schwerhörigkeit hörst du die hohen Frequenzen ab ca. 1/2 KHz nicht mehr gut. Wenn nun jemand die Stimmen erhebt um etwas lauter zu wiederholen, dann ist es leider so, dass besonders die Vokale, also die tieferen Töne, lauter werden (denn die kann man besser schreien). Das ist genau schlecht, denn so überlagern die lauten tiefen Töne, die sowieso schon schlecht wahrgenommenen hohen Töne. Und somit verstehen wir erst recht nur die Vokale, was das oben beschriebene „Lückentext“ Problem noch schlimmer macht.
- Lautstärke bringt nicht notwendigerweise mehr Klarheit. Im Gegenteilt hat es noch den zusätzlichen Nachteil, dass Lautstärke von Schwerhörigen oft als unangenehm wahrgenommen wird (siehe Unbehaglichkeitsschwelle). Deshalb sind Hörgeräte oft so eingestellt, dass sie laute Geräusche gar nicht oder nur wenig verstärken, aber dass durch die Abbildung in einen kleineren Lautstärkebereich viele Töne sehr nah aneinander sind und sich daher schlecht voneinander unterscheiden lassen.
- Mal von all dem abgesehen, ist es so dass die meisten Menschen wenn sie lauter werden, weniger freundlich klingen. Und wer möchte schon gerne einen Kaffee wenn er dafür angeschrien wird?
Wie sollte man denn nun richtig wiederholen?
Der beste Trick ist, das Gesagte umzuformulieren und möglichst andere Wörter für den gleichen Inhalt zu verwenden. Auf diese Weise tricksen wir unsere Mustererkennung aus und zwingen sie das ganze nochmal neu versuchen zu verstehen.
In dem Beispiel oben könnte mein Mann das mit folgenden Formulierungen versuchen:
- „Möchtest du ein koffeinhaltiges Heissgetränk?“
- „Möchtest du einen Latte Macchiato?“ (wenn das dein Lieblingskaffeegetraenk ist)
- „Ich habe einen tollen Arabica gekauft, möchtest du auch einen?“
Alternativ hätte er allerdings auch sagen können: „Du willst Waffeln? Alles klar, Schatz, mach ich dir“ 😉
Zusammenfassung
Nach diesem Artikel solltest du folgendes wissen:
- Unser Sprachverstehen funktioniert mit Hilfe des Hörens einzelne Frequenzen und einer darauf folgenden Mustererkennung durch unser Gehirn.
- Wenn wir Dinge falsch verstehen, sind Laute meistens in der Mustererkennung auf das falsche Wort abgebildet worden.
- Man kann das umgehen indem man den Satz umformuliert und andere Wörter für die gleiche Aussage benutzt.
Danke, das war wieder sehr gut erklärt, gerade für mich als Laien.
Treffend beschrieben!
Bei uns:
„Kannst Du mir mal den Teller bringen?“
Ich höre: “ Kannst Du’s mal in den Keller bringen?“
Das würde schnell aufgelöst…
Andere „Verhörer“ lösen sich erst nach Wochen auf, ich vermute: Manches löst sich nie…
Hallo alle, ich hab am Freitag meinen ersten Hörtest. (bin 51; dazu noch hochgradig kurzsichtig) es stimmt was nicht. und ich fühl mich nicht gut.. hab online Tests (Frequenz und Dezibel Auswertung gemacht.. mit Kopfhörer … da rasselts runter Richtung 50 Db bei hohen Frequenzen.) kennt sich wer aus ob die online Tests harmlos oder die Profi-Tests schärfer gestellt sind? und dann heute beim Einkaufen wieder das Erlebnis an der Kassa: Betrag 21, irgendwas, ich hab was gehört.. aber ich konnte ihn nicht richtig verstehen.. Vorstellungsgespräche mit ffp2 Maske.. gehen in die Hose.. Generell.. bin ich bei mehr als 3 Menschen in einer Umgebung mit Hintergrundgeräuschen überfordert.. Was glaubt ihr, Probehörgerät am Freitag bis Neujahr?
Hallo! Das hoert sich sehr danach an, dass du Hoergeraete brauchst. Ich habe bisher nur gute Erfahrungen mit so „Selbst-Hoertests“ gemacht, ich glaube die sind schon ein guter Indikator. Aber am Ende sollte natuerlich trotzdem ein Akustiker messen. Ich denke ein Probehoergeraet ist eine gute Idee, vor allem weil du es dann ueber die Feiertage bei der Familie mit vielen Leuten um dich rum testen kannst! Viel Erfolg!
Liebe Helga,
vielen Dank für diesen für mich extrem hilfreichen Artikel. Wie oft bin ich schon daran verzweifelt, dass ich Wiederholungen, und wenn ich 3-4 noch mal darum gebeten habe, partout nicht verstanden habe.
Viele Grüße
Silvia
Vielen Dank!
Ich habe eben diesen Artikel meinem Mann vorgelesen. Das war ein Aha Moment für uns beide. (Er hat übrigens Ihre Website für mich gefunden)
Manchmal passiert es, dass ich das Ende eines längeren Satzes nicht verstehe. Ich bitte den Sprecher, etwas lauter zu sprechen. Er fängt laut an, aber bis er ans Ende kommt, spricht er so leise wie vorher. Jetzt habe ich mit angewöhnt zu sagen: bitte sprich lauter nach diesem bestimmten Wort.
Es freut mich, dass Sie (bzw. Ihr Mann) meinen Blog gefunden hat und dass Sie das hilfreich fanden! Weitere Tipps, die bei Ihnen gut helfen, können Sie auch gerne hier reinschreiben 🙂 Liebe Gruesse!