Vor einiger Zeit berichtete ich über Auracast bzw. “Bluetooth LE Audio”, eine neue Funktechnologie, welche vielleicht in Zukunft Höranlagen mit Induktion ersetzen wird. Damals war Auracast noch sehr frisch und die technischen Spezifikationen gerade erst veröffentlicht. Mittlerweile gibt es erste Prototypen für Sender auf dem Markt und die ersten Hörgeräte, die sich dafür bereit machen, Auracast zu empfangen. Je mehr diese Technologie für uns Hörgerätetragende greifbar wird, desto lebendiger wird sie auch diskutiert. In diesem Artikel möchte ich auf den häufigsten Kritikpunkt von Auracast eingehen.
Zunächst aber eine Zusammenfassung der beiden Technologien im Vergleich.
Induktive Höranlagen
Siehe auch Mehr Teilhabe durch Induktionsschleifen.
- Das sind Anlagen, die zumeist in Veranstaltungsräumen (Theatern, Kirchen, etc.) verbaut sind. Sie übertragen den Ton, der über die Veranstaltungssoundanlage aufgenommen wird, per elektromagnetischer Induktion in den Raum. Menschen mit Hörgeräten, die eine T-Spule haben, können ihre Hörgeräte in ein bestimmtes Programm schalten und so den Ton direkt in ihre Hörgeräte übertragen bekommen.
- Die Technologie ist seit Jahrzehnten bekannt und in manchen Ländern an bestimmten Orten vorgeschrieben, damit Hörgerätetragende teilhaben können.
- Induktive Höranlagen senden eine passable Tonqualität, haben aber oft Probleme mit magnetischen Störgeräuschen. So können zum Beispiel gedimmte Lampen oder Oberleitungen in der Nähe der Anlage ein Brummen verursachen.
- Es ist einfach, Induktionsanlagen zu benutzen, denn man muss nur in ein anderes Hörgeräte-Programm umschalten (z.B. mit einem Kippschalter am Hörgerät, der Fernbedienung oder einer Hörgeräte-App).
- Höranlagen funktionieren oft nicht. Das kommt vor allem davon, dass sie nicht leicht zu installieren und zu warten sind – insbesondere nicht von hörenden Menschen, die sie nicht mal eben ausprobieren können.
- Höranlagen sind in Deutschland selten zu finden. Es gibt keine Vorschriften, die sie erfordern. Da diese Technologie “nur” für eine kleine Gruppe an Menschen notwendig ist, wird oft nach wirtschaftlichen Kriterien entschieden, dass sich so eine Anschaffung “nicht lohnt”.
- Die Datenübertragung bei Höranlagen ist analog und unverschlüsselt. Das macht es schwierig, sie bei Veranstaltungen zu benutzen, wo vertrauliche Informationen übertragen werden (z.B. bei Firmenveranstaltungen).
Auracast
Siehe auch Die Hoffnung am Bluetooth-Himmel und Auracast – Wie ist der Stand der Dinge?
- Auracast ist eine Funktechnologie, die basierend auf der Technologie “Bluetooth” entwickelt wurde.
- Ähnlich wie Induktionsanlagen, ist sie für Situationen gedacht, wo eine Tonquelle an viele Menschen übertragen werden kann (z.B. bei Veranstaltungen).
- Auracast ist noch eine sehr neue Entwicklung. Es gibt aber schon erste Prototypen für die Sender und Empfänger dieser Technologie, sowie erste Hörgeräte, die schon alle Voraussetzungen erfüllen, diese Technologie bald freischalten zu können (diese heissen “Auracast-ready”, also “bereit für Auracast”).
- Auracast hat eine sehr gute Tonqualität. Da sich die Technologie von Induktion unterscheidet, gibt es hier auch keine Probleme mit Interferenzen mit Stromleitungen. Hier gibt es unter “Bluetooth Audio Codec Demonstration” ein Hörbeispiel zu hören. Da Auracast allerdings noch sehr neu und wenig erprobt ist, weiss man noch nicht, ob es nicht zu anderen technischen Problemen kommen wird.
- Auracast ist nicht nur für Menschen mit Hörgeräten entwickelt worden, sondern für alle Menschen. Hörende Menschen können das gesendete Tonsignal mit Auracast-fähigen Kopfhörern oder Ohrenstöpseln empfangen und schwerhoerige Menschen eben mit Auracast-fähigen Hörgeräten (oder Cochlea-Implantaten).
- Auracast-Signale können verschlüsselt werden und somit kann diese Technologie auch bei Veranstaltungen mit vertraulichen Inhalten genutzt werden.
- Dadurch, dass es eine Technologie ist, die für alle entwickelt wurde, gibt es auch sehr viele Anwendungsszenarien, die man hier im Sinn hat. Zum Beispiel kann man im Kino einen Film ausstrahlen mit zwei verschiedenen Tonspuren im gleichen Saal. Jeder Besucher des Kinosaals, kann sich durch Auswählen des Kanals aussuchen, ob er den Film nun auf Deutsch oder in der Originalsprache hören möchte. Außerdem gibt es die Überlegung, ob man mit Auracast Durchsagen an Bahnhöfen so überträgt.
- Auracast Sender strahlen also ihre Toninformation auf unterschiedlichen Kanälen aus. Das bedeutet, dass man neben den Hörgeräten (oder Kopfhörern) immer ein weiteres Gerät haben muss, mit dem man den Kanal anwählen kann. Das kann zum Beispiel ein Smartphone sein oder eine separate Fernbedienung. Damit ist Auracast also nicht ganz so einfach zu bedienen wie in ein anderes Hörgeräte-Programm zu schalten. Allerdings ist das nötig, um die Vorzüge von dieser Technologie zu haben (verschiedene Kanäle für verschiedene Sprachen, Verschlüsselung des Signals).
- Auracast ist momentan nur in prototypischen Situationen verfügbar. Da es jedoch eine Technologie ist, die nicht nur für eine kleine Gruppe Menschen entwickelt wurde und die viele Vorteile für alle Menschen bringt, könnte es sein, dass sie sich besser und weiter verbreiten wird, weil es wirtschaftlich betrachtet sich “mehr lohnen” wird.
Häufigster Kritikpunkt: Bedienbarkeit
In den letzten Monaten haben sich vor allem auch Selbsthilfeorganisationen von schwerhörigen Menschen mit dieser neuen Technologie beschäftigt. So hat der Schweizer Verband “Pro Audito Schweiz” ein Webinar zum Thema Auracast gegeben. Auch vom Deutschen Hörverband (DHV) gab es eine online Diskussion zum Thema.
Der häufigste Kritikpunkt an Auracast – besonders in der Veranstaltung des DHV – scheint zu sein, dass es nicht so leicht zu bedienen ist wie Induktionsanlagen. Statt einem Tippen auf den Kippschalter am Hörgerät muss man sein Smartphone oder ein anderes zusätzliches Gerät/Fernbedienung herausnehmen, um den Kanal zu wechseln. Die Kritik geht teilweise so weit, dass diskutiert wird, ob die Selbsthilfeorganisationen diese neue Technologie eher nicht willkommen heißen wollen bzw. konkrete Maßnahmen gegen ihre Verbreitung fordern sollen.
Ich verstehe, dass das natürlich ein Unterschied ist. Allerdings habe ich dazu ein paar Gedanken, basierend auf eigener Erfahrung.
- Bedienbarkeit von Induktionsanlagen. Auch Induktionsanlagen sind in der Praxis nicht so einfach zu bedienen. Dadurch, dass sie leider oft nicht gut funktionieren, habe ich oft das Problem, dass ich zwar im richtigen Hörgeräteprogramm bin, aber trotzdem nichts höre. Und dann muss ich herausfinden, woran das liegt. Funktioniert die Anlage einfach nicht? Ist sie überhaupt eingeschaltet? Sitze ich am richtigen Platz? Oder habe ich mich verdrückt und bin aus Versehen ein Programm zu weit gesprungen und eben nicht im Induktion-Programm? – Was mache ich in der Situation? Genau, ich nehme mein Smartphone heraus und prüfe mit meiner Hörgeräte-App, ob ich im richtigen Programm bin. Ähnlich wie bei Auracast, habe ich also oft mein Smartphone in der Hand.
- Unterschätzt die Senioren nicht. Auch ältere schwerhörige Menschen sind heute oft sowieso schon mit Smartphones unterwegs. Auch wenn das Wissen um deren Bedienung unterschiedlich weit verbreitet ist, finde ich schon, dass man auch den Senioren ein bisschen mehr zutrauen sollte. Insbesondere sollte man die technisch fitten Senioren nicht um eine Technologie für Teilhabe bringen, nur weil es andere gleichaltrige Leute überfordert.
- Verwehrt den Fortschritt nicht denen die es nutzen möchten. Dazu kommen auch noch die ganzen jüngeren Schwerhoerigen, von denen viele keine Probleme mit der Bedienung haben. Sollte ihnen der Zugang zu mehr Teilhabe verwehrt bleiben, obwohl es technisch möglich ist, etwas besseres zu bauen als Induktionsanlagen?
- Bei WLAN geht es doch auch. Die Tatsache, dass man bei Auracast den Kanal auswählen muss, wird vermutlich ähnlich implementiert wie sich in ein WLAN einzuwählen. Und wer mit einem Smartphone schon jetzt unterwegs ist, besonders auf Reisen, der wird auch gelernt haben, sich in einem Hotel ins WLAN zu verbinden. Selbst meine über 70 jährigen Eltern schaffen das. Daher habe ich die Hoffnung, dass man Ihnen auch Auracast beibringen könnte.
- Die Vorteile machen die Bedienung nötig. Die Notwendigkeit einen Kanal auszuwählen, kommt eben mit dem Vorteil, dass es mehrere Kanäle gibt. Auch hier mag es Senioren geben, die eben gerne mal einen Film nicht auf Deutsch hören, sondern z.B. in ihrer Muttersprache, wenn sie einen Migrationshintergrund haben. Die Möglichkeit, Sprachkanäle auszuwählen, bringt also auch eine Art von Inklusion, die wir in unserer bunten Gesellschaft eher fördern als verhindern sollten.
- Viel Zeit zu lernen. Die Auracast-Technologie ist noch sehr frisch. Es wird vermutlich noch 10 Jahre dauern, bis sie sowohl den öffentlichen Raum (mit Sendern) als auch Kopfhörer und Hörgeräte (als Empfänger) durchdrungen hat. Das sind 10 Jahre, in denen auch die Bedienbarkeit verbessert und erlernt werden kann. Wenn man sich einer Technologie nicht von vornherein verwehrt, so wächst man auch in die hinein und wird erst recht abgehängt.
- Verbreitung durch wirtschaftliche Anreize. Ich bin seit über 15 Jahren Hörgeräteträgerin. In dieser Zeit habe ich nur ganz selten funktionierende Induktionsanlagen in der freien Wildbahn erlebt. Die Verfügbarkeit dieser Technologie ist ein Trauerspiel. Es ist ein Zeichen dafür, dass sich Technologie in unserer kapitalistischen Welt nur verbreitet, wenn sie von genügend Menschen genutzt werden kann – was bei Induktionsschleifen eben nicht der Fall ist. Nur in Ländern, wo es gesetzlich vorgeschrieben ist, sind solche Anlagen vorhanden. Aber in Deutschland hat in mehreren Jahrzehnten das Engagement von Selbsthilfeorganisationen leider nicht ausgereicht, um entsprechende Gesetze zu verabschieden. Auch wenn ich als (relativ junger) Hörgeräte-tragender Mensch die Bemühungen der Organisationen wahrnehme, so waren sie leider nicht erfolgreich. Ich habe da einfach mehr Hoffnung darauf, dass das bei Auracast anders wird, weil es sich eher wirtschaftlich lohnt, solche Anlagen zu installieren. Hier sind wir Menschen mit Schwerhörigkeit nicht auf die Gnade des Gesetzgebers angewiesen.
- Viel Zeit zu lehren. Man sieht beim Thema Induktion, dass das Engagement der Selbsthilfeorganisationen leider nur wenig gefruchtet hat. Es ist offensichtlich ein Thema, wo wir selbst als Gruppe von Betroffenen kaum einen Einfluss haben. Wo wir vermutlich mehr Einfluss haben, ist bei der Weiterbildung anzubieten. Wenn doch angeblich die Bedienbarkeit das größte Problem ist, warum engagieren wir uns nicht dafür, die Menschen weiterzubilden, die hier Startschwierigkeiten haben? 10 Jahre sind viel Zeit, in der man Schulungen, Infotage, Ausprobier-Cafes und sonstige Veranstaltungen machen kann, um den Umgang mit Auracast zu lehren. In 10 Jahren kann man gutes und klar verständliches Infomaterial für alle Hörgerätetragende erstellen und unter die Leute bringen. Mangelndes Wissen in der Bevölkerung ist ein Problem, was man beeinflussen kann. Wie wäre es, wenn wir hier unsere Energie reinstecken, anstatt diese neue Technologie direkt zu verteufeln?
Fazit
In meinen mehr als 15 Jahren als Hörgeräte-tragender Mensch bin ich selten in den Genuss von Induktionsschleifen gekommen. Klar, sie sind super, wenn sie da sind und funktionieren, aber das ist leider selten der Fall.
Ich persönlich freue mich auf die Ankunft von Auracast. Ich freue mich darauf, eine moderne Technologie nutzen zu können, die in mein Leben als berufstätiger, schwerhöriger Mensch passt. Mit der Aussicht auf diese Technologie fühle ich mich auf der gleichen Stufe wie hörende Menschen mit Kopfhörern – ganz im Sinne der Inklusion.
Um es mit einer Metapher zu sagen: Induktionsanlagen und Auracast sind zwei verschiedene Züge. Induktionsanlagen sind 30 Jahre alte Züge, die schon etwas klapprig sind, aber noch ganz gut funktionieren. Auracast ist der moderne Schnellzug, der gerade aus der Fabrik rollt und vermutlich hier und da auch noch ein paar Macken hat. Aber im Vergleich zum Induktionszug, wird es sehr viel mehr von diesen Zügen geben. Und in welchen Zug steige ich ein? In den, der überhaupt mal an meinem Bahnhof ankommt – und da hat mich der Induktionszug leider bisher nur enttäuscht.
Was denkt ihr zu Auracast? Freut ihr euch darauf? Traut ihr euch zu es zu bedienen? Schreibt eure Gedanken in die Kommentare!
It’s wonderful to see new developments in hearing aid technology.
With a market that impacts hundreds of millions of people, it’s a total shame that we don’t yet have a universal solution.
I’m hopeful that Auracast will be the breakthrough.
Toller Artikel über eine neue Technologie, mit der Chance, diese von Anfang an begleiten und beobachten zu können.
Die Argumente haben mich überzeugt und vermutlich gibt es in 10 Jahren eh keine Hörgeräte mehr mit Schaltern, sondern nur noch die App-Steuerung…
Sehr guter Artikel! Ich trage seit über 25 Jahren Hörgeräte und bekam vor 10 Jahren per Zufall Hörgeräte mit einer T-Spule. Seit 3 Jahren bin ehrenamtlicher Höranlagen-Tester in der Schweiz. Bei uns sind Höranlagen unter gewissen Bedingungen gesetzlich vorgeschrieben. Leider sind viele dieser neuen Anlagen (z.B. Säle in neuen Hotels) nicht gekennzeichnet. Wir suchen nach solchen Anlagen, bringen Pictogramme an und veröffentlichen sie in „hoeranlagen.ch“ im Internet.
Auracast-Anlagen werden diese erst ergänzen und danach ablösen. Ich bin 75 und hoffe dies noch zu erleben.
Vielen Dank für die schöne und v.a. informative Zusammenstellung.
Auracast wird kommen – unabhängig ob Selbsthilfeorganisationen das gutheißen oder verdammen – eben *weil* es für alle Hörenden gleichermaßen eine Weiterentwicklung darstellt. Die Anwendung für Hörgeräte ist in dem globalen Markt der drahtlosen Audio-Übertragung nur ein kleines Puzzle-Teil.
Also, abwarten und drauf freuen.
Sehr gute Zusammenfassung der aktuellen Situation zu Auracast – ich teile die Sicht / Bewertung zu 100%.
Ich selbst habe bereits Auracast-fähige Hörgeräte (Beltone Serene), kann die AuraCast-Funktionalität bisher leider nur mit dem Beltone TV-Streamer nutzen – an sonstigen Endgeräten herrscht Mangel und insbesondere scheint es im öffentlichen Raum (Kulturstätten, Vortragsräume, ÖPNV, …), wo es sinnvoll und hilfreich wäre, noch keinerlei Angebote oder wenigstens Pläne zurEinführung zu geben.
Wäre m.E. sehr sinnvoll und hilfreich, wenn sich die entsprechenden Verbände (die sich dem Thema „Hörgeschädigte“ widmen) hier technologie-freundlich und -offen fordernd betätigen würden, statt rückständig bremsend.
Mit freundlichen Grüßen,
J. Ebner