Die meisten Menschen, die sich mit Hörgeräten noch nicht viel beschäftigt haben, denken dass Hörgeräte im wesentlichen so funktionieren:
- Das Mikrophon nimmt den Ton der Umwelt auf.
- Der Verstärker macht ihn lauter.
- Die Lautsprecher pusten den verstärkten Ton in unser Ohr.
Also sie nehmen an, dass Hörgeräte alles nur lauter machen. Das war vielleicht vor ein paar Dekaden so, bevor Hörgeräte elektrisch wurden, aber moderne Hörgeräte machen viel mehr als nur „lauter“. Sie machen vor allem „anders“. Dieser Artikel gibt einen Überblick darüber was man von modernen Hörgeräten heutzutage erwarten kann.
Nicht einfach lauter, sondern „gerade richtig“ laut
Wie ich in einem früheren Artikel über die Unbehaglichkeitsschwelle schrieb, hilft es den meisten Schwerhörigen nicht viel, wenn das Hörgerät einfach nur lauter macht. Ab einer gewissen Schwelle empfinden Menschen die Lautstärke als unangenehm und diese Schwelle ist bei vielen Schwerhörigen sogar tiefer als bei hörenden Menschen. Das heißt also auch wenn man Töne erst später wahrnimmt als Hörende, so werden sie trotzdem früher unangenehm. Moderne Hörgeräte helfen dem ab in dem sie dynamisch verstärken, also die Töne du man nicht mehr hörst so viel verstärken dass du sie hörst, aber insgesamt nicht so viel dass es unangenehm wird. Das mag einfacher klingen als es ist, aber diese Logik konnten Hörgeräte als sie elektrisch betrieben wurden. Vorher war das für viele Schwerhörige der Grund, ihre Hörgeräte lieber in der Schublade liegen zu haben.
Richtungshören und Fokus
Bei manchen Hörgeräten empfinden wir das Richtungshören als deutlich schlechter als normal. Mit Richtungshören meine ich die Möglichkeit zu orten aus welcher Richtung ein Geräusch kommt. Besonders Hinter-dem-Ohr Geräte (siehe den früheren Artikel Bauformen von Hörgeräten dazu) führen zu diesem Problem. Der Grund ist dass die Mikrophone der Hörgeräte hinter der Ohrmuschel sitzen, aber dass das menschliche Ohr mit Hilfe der Form der Ohrmuschel berechnet wo ein Ton herkommt. Da Hörgeräte die Muschel quasi ignorieren und der Ton durch das Hörgerät geleitet wird, können wir die Vorteile der Ohrmuschel nicht mehr genießen.
Moderne Hörgeräte lösen das Problem indem sie mehr als ein Mikrophon nutzen und die Signale die sie empfangen miteinander abgleichen. Wenn man zwei Hörgeräte trägt, dann reden diese miteinander und können so erkennen ob der Ton von vorne, links oder rechts kommt, je nach dem ob der Ton bei einem oder beiden der Mikrophone gleichzeitig oder zeitversetzt ankommt. Dazu kommt noch dass viele Hörgeräte selbst zwei Mikrophone haben, also bei zwei Hörgeräten trägst du insgesamt vier Mikrophone mit dir rum. Dann kann man das ganze auch noch für Töne von vorne bzw. hinten machen und hat so besseres Richtungshören in der Ebene.
Hintergrundgeräusche
Hörgeräte sind mittlerweile kleine Computer die sehr gute und sehr schnelle Signalverarbeitung machen. Damit werden sie auch immer besser was das Herausfiltern von Vordergrund zu Hintergrund-Geräuschen angeht. So können sie mittlerweile sehr gut Geräusche wie Fahrgeräusche im Auto oder surrende Klimaanlagen herausrechnen. Auch menschliche Hintergrundgeräusche wie die Stimmen anderer Gäste im Restaurant können sie von dem Vordergrund-Sprachsignal unserer Gesprächspartner unterscheiden. Letzteres ist zwar immer noch selten perfekt, da es die Königsdisziplin der Akustik ist, aber auch hier gibt es jedes Jahr deutliche Fortschritte. Mehr dazu gibt es im Artikel Der Cocktailparty-Effekt.
Grundpegel und Impulsgeräusche
Hörgeräte passen heutzutage auch den Grundpegel an, je nach dem ob man sich in einer lauten oder leisen Umgebung befindet. Zum Beispiel ist in einem lauten Restaurant die Hintergrundgeräuschkulisse schon so laut, dass auch dein Gesprächspartner relativ laut sprechen wird. Andererseits möchtest du in einem leisen Büro verstehen wenn dir deine Kollegen etwas zuflüstern wenn sie über den Chef lästern. In beiden Situationen muss das Hörgerät ein Signal verstärken, aber insgesamt unterschiedlich laut – abhängig von der Situation. Moderne Hörgeräte passen sich hier der Situation an.
Das Problem ist nur wenn es gerade im Modus „flüsternde Kollegen“ ist, dass es dann mehr verstärkt. Das heißt, wenn dann im Büro jemand eine Kaffeetasse fallen lässt, dieses Geräusch auf einmal viel lauter als das Flüstern ist und vom Hörgerät auch noch verstärkt wird. Die Lösung hier die Signalverarbeitung durch Computertechnik. Hörgeräte merken wenn es auf einmal einen kurzen, lauten Ton gibt und verstärken diese dann nicht oder nicht so viel. Das macht das Hören mit Hörgeräten sehr viel angenehmer wenn z.B. Geschirr klappert oder eine Tür zuschlägt.
Sprachverständnis
Generell sind die meisten Hörgeräte darauf eingestellt, das Verständnis von Sprache zu verbessern. Neben den oben genannten Punkten, die hierbei alle helfen, machen Hörgeräte noch ein paar Dinge, die besonders bei Sprache helfen. Zum Beispiel fokussieren sie mehr auf die Lautstärken und Frequenzen in denen Sprache stattfindet, als auf andere. Zum Beispiel ist das hochfrequente Geräusch welches (alte) Fernseher machen nichts was in Sprache vorkommt und eigentlich sowieso ein Geräusch was keiner braucht. Daher verstärken es Hörgeräte auch nicht.
Musik
Auch wenn in Sachen Hörgeräteversorgung das Hauptziel unseres Gesundheitssystems ist, das Sprachverständnis (und damit unsere Arbeitsfähigkeit) zu erhöhen, so ist sekundär der Genuss von Musik auch wichtig für die Lebensqualität der meisten Menschen. Leider ist es so dass vieles was Hörgeräte für Sprachverständnis tun eher gegenläufig für Musikgenuss sind. Musik klingt am besten wenn man die Frequenzen und Lautstärken möglichst nicht filtert, komprimiert oder sonst wie verändert. Das heißt ein Hörgerät was Sprache gut verständlich macht, macht Musik eher ungenießbar.
Die Abhilfe schafft hier, dass moderne Hörgeräte mehr als ein Programm haben können. So kann man eins für Sprache und eins für Musik haben und ist so in beiden Situationen glücklich. Es gibt sogar Hörgeräte die automatisch erkennen können ob sie sich gerade in einer Situation befinden wo gesprochen wird oder ob es sich um Musik handelt. Dann muss man nicht einmal aktiv einen Knopf dafür drücken.
Streaming und Telefonieren
Telefonieren ist für die meisten von uns Schwerhörigen eine sehr ungeliebte Tätigkeit. So generell kann man diese Abneigung mittlerweile auf alles übertragen wo Ton herkommt. In unserer modernen Welt wollen wir nicht nur telefonieren, sondern auch an Videokonferenzen teilnehmen, im Internet oder im Fernsehen Dinge schauen und hören. Für all diese Situationen gibt mittlerweile Lösungen die Tonquelle direkt mit den Hörgeräten zu verbinden. Auf diese Weite bekommt man den Ton bestmöglichst und ohne Störgeräusche direkt ins Ohr. So wird auch telefonieren mit der Oma oder das schauen des lustigen Videos die dir Tante Wilma über WhatsApp schickt wieder möglich. Ob letzteres ein Genuss ist, muss jeder selbst für sich entscheiden.
Situationserkennung
Bei vielen Dingen die ich hier aufliste, kommt es auf die Situation an, was das Hörgerät am besten tun soll. Bei manchen, wie z.B. bei Musik, kann man gut manuell zwischen zwei Programmen umschalten, bei anderen ist das weniger praktikabel. Z.B. kann es sein dass sich auf einer Party ständig ändert wo dein Gesprächspartner relativ zu dir steht oder Impulsgeräusche passieren viel zu schnell dass dass du als Hörgeräteträger schnell einen Knopf drücken könntest. Daher ist es sehr gut, dass moderne Hörgeräte selber die Geräuschsituation beobachten und selbstständig versuchen die besten Einstellungen für jede Situation zu wählen. Das ist zwar nicht immer perfekt, aber oft sehr hilfreich.
Zusammenfassung
Ich hoffe ich konnte dir in diesem Artikel einen guten Überblick verschaffen, was moderne Hörgeräte so können. Heutzutage erkennen sie wer dich aus welcher Richtung anspricht und welche Geräusche sie ausblenden sollen. Sie blenden zu laute Geräusche aus und dämpfen welche die plötzlich geschehen. Moderne Hörgeräte lassen sich mit den Geräten unserer modernen Technikwelt verbinden und geben dir so die Möglichkeit an dieser teilzuhaben.
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