Die Hörgeräte-Barbie

Überflüssig oder eine Inspiration?

Seit Herbst 2021 schreibe ich als freie Autorin für die Audio Infos. Dieser Artikel ist ursprünglich in der Audio Infos Ausgabe Juli 2022 unter dem gleichen Titel erschienen. Audio Infos ist die Fachzeitschrift für Akustiker*innen, https://www.audio-infos.de/.

Ich bin in den 80ern aufgewachsen. In den Zimmern meiner Schwester und mir durfte Barbie natürlich nicht fehlen. Damals waren Barbiepuppen noch sehr uniform. Sie bedienten das Klischee von Schönheit: rank und schlank, vollbusig, blauäugig und blond.

Wir schreiben nun das Jahr 2022, und Mattel bringt zum ersten mal eine Barbie auf den Markt, die Hörgeräte trägt. Zugleich amüsiert, aber auch irgendwie bewegt, lese ich die Ankündigungen dazu. Finde ich dieses neue Mattel-Produkt überflüssig oder eine Inspiration?

Mattel wurde in der Vergangenheit oft dafür kritisiert durch die Barbiepuppe ein zu idealisiertes Körperbild zu propagieren – besonders von Frauen, aber durch “Ken” auch bei Männern. Die Firma hat daraus gelernt, denn Puppen mit etwas vielfältigeren Körpermerkmalen gibt es schon einige Jahre: andere Haarfarben als blond, zierlicherer oder voluminöserer Körperbau, hellere oder dunklere Haut.

Da diese Entwicklung nun schon Jahre anhält, gehe ich davon aus, dass es nicht nur Produktentscheidungen waren um das Firmenimage positiv zu halten, sondern sich auch finanziell lohnt. Oh Wunder, man verkauft mehr Puppen, wenn man mehr Menschen anspricht. Und “ansprechen” bedeutet in diesem Fall eine Projektionsfläche zu bieten, die der Identität der Käufer nahe ist. Zierliche, dunkelhäutige Mädchen möchten eben auch gerne eine Puppe haben, die ihnen das Gefühl gibt, dass sie genau richtig sind so wie sie sind.

Identität von Menschen ist aus vielfältigen Aspekten aufgebaut. Mattel hat viele Varianten des Aspektes Aussehen durchgespielt. Sichtbare Behinderungen gehören auch zum Aussehen von Menschen und waren bisher aber kaum bedient. Das ändert sich nun.

Grundsätzlich begrüße ich diese Entwicklung, denn ich finde auch kleine Mädchen mit Hörgeräten oder kleine Jungs im Rollstuhl sollten vermittelt bekommen, dass an ihnen nichts falsch ist. Das bezieht sich nicht nur auf Puppen, sondern auch generell auf Spielzeug oder Popkultur. Ich freue mich zum Beispiel auch immer mehr Kinderliteratur zu sehen, in der Menschen mit Behinderungen die Hauptrolle spielen. Mattels neue Produkte sind hier also ganz im Trend. 

Böse Zungen könnten nun behaupten, dass die Entwicklung bei Mattel aber genau das zeigt, was man in vielen Bereichen sieht: die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen sind eher ein nachrangiger Gedanke. Erst wenn andere Märkte ausgeschöpft sind, wird das Potential dieser Personengruppe erkannt. Erst wenn die Kritik aus den Reihen der betroffenen Personen grösser wird, so gross dass sie dem Image schaden könnte, dann kann man auf einmal Puppen produzieren, die Behinderungen zeigen. So stimme auch ich hier ein. Auch wenn ich Mattels neue Produkte begrüße, denke ich mir “Warum musste das so lange dauern?”

Wie wichtig Identität und deren Anerkennung für Menschen ist, sieht man auch an anderen marginalisierten Gruppen. Hier geht es sogar soweit, nicht nur selbstbestimmt die eigenen Identität zu zeigen, sondern sogar stolz darauf zu sein. Die LGBTQIA+ Gemeinschaft feiert das schon seit Jahren auf ihren Pride-Paraden. Und auch die Gemeinschaft der Menschen mit Behinderungen fängt an, das gleiche zu tun. Im Jahre 2022 ist Disability Pride ein Begriff. Durch diese Bewegung lernen Menschen auf der ganzen Welt, Behinderung nicht als Makel zu sehen sondern als Teil einer vielfältigen Gesellschaft.

Wenn ich mir die Hörgeräte-Barbie so anschaue, frage ich mich noch kurz, ob das Hörgerät denn nicht etwas zu “klobig” ist. Moderne Hörgeräte sind heutzutage klein und chic designed. Das Barbie-Hörgerät könnte hier eher an die Modelle von vor 30 Jahren erinnern und somit Stigma eher fördern als abbauen. 

Auch wenn ich diese Gefahr sehe, so glaube ich eher weniger dass das so wahrgenommen wird. Auch wenn ich keine Expertin in Sachen Puppen-Produktion bin, so kann ich mir gut vorstellen, dass es produktionstechnisch einfach schwierig war, die Hörgeräte noch kleiner zu machen, denn so gross ist ein Barbie-Ohr ja nicht.

Ich freue mich sehr über die Sichtbarkeit der Hörgeräte. Ich widerspreche dem Trend der Industrie Hörgeräte immer kleiner und unsichtbarer zu machen. Zum einen macht man hierdurch schlechte Kompromisse an anderer Stelle: Leistung der Sound-Prozessoren, Anzahl der Antennen, Kapazität der Akkus und Batterien. Zum anderen ist es hilfreich, wenn man sie sieht. Hörgeräte kompensieren einen Hörverlust nie zu 100%. Das heißt als Mensch mit Hörgeräten bin ich trotzdem darauf angewiesen, dass meine Umgebung Rücksicht auf mich nimmt. Und das tut sie eher, wenn sie durch die Geräte daran erinnert wird.

Ich warte schon lange darauf, dass Hörgeräte endlich nicht mehr versteckt werden, sondern ähnlich wie Brillen zu modischen Accessoires werden. Im Sinne der Disability Pride Bewegung sollte man sich der Geräte nicht schämen, sondern sie feiern. Barbie ist eine Lifestyle-Ikone. Wer könnte also besser dabei helfen Hörgeräte zu Mode-Accessoires zu erheben als sie?

Ein Gedanke zu „Die Hörgeräte-Barbie

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